Wozu nur sind Großmütter da und gut?

(c) David Ellifrit / Center for whale research
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An Killerwalen konnte geklärt werden, warum weibliche Mitglieder ganz weniger Arten nach dem Ende ihrer reproduktiven Phase noch lange leben: Ihre Erfahrung kann in Notzeiten ganze Gruppen retten.

Dass Mitglieder einer Gesellschaft ganz auf Reproduktion verzichten, gibt es einzig bei Staaten bildenden Insekten, Bienen etwa: Nur die Königin vermehrt sich, ihre Schwestern und Töchter sorgen für die Brut. Warum sie das eigene Interesse zurückstellen, ist nicht ganz geklärt, früher setzte man auf Verwandtschaft („kin“), inzwischen spricht viel dafür, dass die Königin die anderen chemisch manipuliert. Wie auch immer: Einen Verzicht auf Reproduktion kennt man auch bei Wirbeltieren, er ist temporär: Bei Nacktmullen sind die Weibchen zunächst Arbeiterinnen, die bei der Aufzucht der Jungen helfen, erst spät werden sie geschlechtsreif. Mit den Bienen haben sie gemeinsam, dass mehrere Generationen zusammenleben und die Arbeit teilen, auch die Brutpflege: Solche Gesellschaften nennt man „eusozial“.

2005 wies Kevin Foster (Rice University) darauf hin, dass es noch ein eusoziales Wirbeltier gibt: den Menschen. Hier ist es umgekehrt wie bei den Nacktmullen: Frauen stellen in der Menopause die Reproduktion ein, und leben dann noch lange. Das ist eher wider die Natur – bei fast allen anderen Tieren endet mit der Reproduktion auch das Leben –, es müssen starke Gründe dahinterstehen, damit es sich in der Evolution durchsetzen konnte. Zwei Hypothesen konkurrieren, die vom „Mutter-Effekt“ und die vom „Großmutter-Effekt“: Erstere geht davon aus, dass Frauen die Reproduktion einstellen, um die schon geborenen Kinder optimal zu begleiten; letztere setzt darauf, dass Großmütter einen Teil der Pflege der Enkel übernehmen und ihre Töchter freispielen für neue Kinder.

Die Alten wissen, wo es noch Futter gibt

Viel spricht für den „Großmutter-Effekt“, aber die beiden müssen einander nicht ausschließen, ganz geklärt ist es nicht, es ist bei Menschen schwierig. Aber in Reaktion auf Foster wies Hal Whitehead (Dalhousie University) darauf hin, dass es anderswo auch Großmütter gibt: bei manchen Walen, vor allem bei Orcas, Killerwalen. Deren Weibchen stellen mit 40 die Reproduktion ein, werden aber bis zu 90 Jahre alt. Und an ihnen hat Darren Croft (Exeter) nun geklärt, wozu Großmütter da sind: Mit ihrer akkumulierten Erfahrung sind sie die Notnägel für harte Zeiten. Scott hat Orcafamilien – in solchen Verbänden ziehen sie herum, ihr Leben lang, sie verlassen sie nie, nur die Männchen reproduzieren sich außerhalb und kehren dann zurück – zehn Jahre lang begleitet, zugleich hat er Fischereidaten ausgewertet: Diese Orcas jagen vor allem wandernde Lachse, und deren Schwärme fallen von Jahr zu Jahr anders aus.

Herrscht Not, übernehmen Orca-Großmütter die Führung der Familien, sie wissen am besten, wo sich noch Futter findet (Current Biology 5. 3.): Es geht um den Informationsschatz. Um den geht es wohl auch bei Menschen, das vermutete Multitalent Jared Diamond, als er in Neuguinea hinter Vögeln her war. Je seltener ein Exemplar war, desto ältere Indigene musste er um Auskunft bitten.

Bei Nahrung ist es ebenso: Es gibt Früchte, die nur in äußerster Not hinabgewürgt werden. Eine heißt „hungi kengi“, nach einem fürchterlichen Zyklon, er tobte 1910. Daran, wie die Frucht aussieht, erinnert sich nur noch die älteste Frau. Sie und andere lebende Gedächtnisse werden hoch geehrt und gefüttert, mit Vorgekautem (Nature 410, S. 521). So war es wohl immer – Homo erectus fütterte vor 1,8 Millionen Jahren eine Uralte durch –, bleibt es so? Das Speichern von Information im Gehirn wurde erst von dem in Schrift abgelöst, dann vom elektronischen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

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