Orchideenforschung: Tarnen und täuschen im Tropenwald

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Orchideenforschung. Die meisten Orchideen leben auf Bäumen. Dort nutzen sie für die Fortpflanzung eine Vielzahl von Tricks. Botaniker der Uni Wien beobachten sie dabei. Zum Schutz der Pflanzen verfassten sie ein Handbuch für Zöllner.

Für manche Orchideenarten muss man früh aufstehen. Sie blühen nur wenige Stunden, und das nur an einem einzigen Morgen. Dann ist es für Monate vorbei mit der Pracht. Zwar sind alle Orchideenblüten gleich aufgebaut – sie bestehen aus sechs Blütenblättern, die in einem inneren und einem äußeren Kreis angeordnet sind; bei Größe, Form, Farbe und Bedürfnissen der weltweit zwischen 30.000 und 35.000 Orchideenarten gibt es aber eine enorme Vielfalt.

Ihre genaue Zahl lässt sich nicht festlegen, denn viele sind auch heute noch nicht ausreichend, manche doppelt, aber eben doch nicht eindeutig, beschrieben. Forscher des Botanischen Gartens der Uni Wien haben auf Madagaskar bereits ein Dutzend neuer Arten entdeckt.

Mannshohe Exemplare

Die Wissenschaftler sammeln seit 25 Jahren Exemplare der Gattung Bulbophyllum, mit rund 2000 Arten die umfangreichste der Welt. Die kleinsten Pflanzen sind kaum größer als ein Ein-Cent-Stück, die größten mannshoch. Rund 200 Arten wachsen auf Madagaskar, wo ein Forschungsschwerpunkt der Wiener Botaniker liegt. Denn Inseln sind besonders interessant für Biologen: „Arten entwickeln sich hier isoliert vom ,Rest der Welt‘ und sind damit einzigartig“, sagt Michael Kiehn, Leiter des Botanischen Gartens der Uni Wien. 130 Arten haben die Forscher in Madagaskar bereits gefunden und verfügen damit über die größte Bulbophyllum-Sammlung der Welt.

Der Name Bulbophyllumkommt aus dem Griechischen: Bulbos bedeutet Knolle, phyllon ist das Blatt. In der Knolle wird Wasser gespeichert für die Trockenzeit. Das sichert der Pflanze das Überleben. Orchideen in tropischen Ländern wachsen meist auf Bäumen, näher am Licht. Darum gedeihen sie bei uns im Topf in Rindenstückchen, nicht in Erde, und lassen die Wurzeln auch über den Rand hinaushängen.

Charakteristikum der Bulbophyllen ist aber das Labellum, ein lippenförmiges Blütenblatt, das wie eine Wippe funktioniert. Setzt sich ein Insekt darauf, neigt es sich und befördert das Tier mit dem Hinterleib direkt zum männlichen Reproduktionsorgan. Überhaupt nutzen Orchideen allerlei Tricks, um Bestäuber anzulocken: Sie produzieren zwar nur selten Nektar, täuschen das aber mitunter durch ihren Duft vor. Nähert sich ein Interessent, ist die Saftbar leer. Oder sie stinken: Um Fliegen anzulocken, eignet sich etwa der Geruch von verrottetem Fleisch. Manche Arten nutzen auch optische Anreize, sind etwa gemustert wie Sexualpartner.

Pflanzen bewegen sich

Erst kürzlich gelang einem Diplomanden der Nachweis, wie sich Orchideen bewegen. Dazu wurde eine Kamera montiert, die Pflanzen wurden gefilmt. Das überraschende Ergebnis: Die Blüten öffnen und schließen sich in einem geregelten Zeitrhythmus. Bei näherer Analyse zeigten sich Altersunterschiede in der Aktivität: Jüngere Pflanzen bewegten sich mehr, ältere weniger. „Das war aber mehr als eine reine Schlafbewegung. Kleinere Blüten wirkten durch die Bewegung tagsüber so, als würde der Wind gehen“, sagt Kiehn. Er vermutet, die Pflanze könnte einen Mückenschwarm imitieren, um so Mücken – zur Bestäubung – anzulocken.

„Orchideen agieren betrügerisch. Sie nutzen die Dienste der Lebewesen, haben aber selbst nichts anzubieten“, sagt Anton Sieder. Als Gärtner ist er voll in die Forschungsarbeit eingebunden. „Wer viel mit Pflanzen arbeitet, hat meist ein sehr gutes Verständnis, wie sie funktionieren“, sagt sein Chef, Michael Kiehn. Die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter umfassend zu nutzen ist ihm ein Anliegen.

Wie eine große Staubwolke

In der Fruchtkapsel der Orchideen entwickeln sich schließlich tausende Samen. Sie sind winzig klein und breiten sich wie eine Staubwolke in ihrer Umgebung aus. So gelangen sie auch in luftige Höhen, bis in manchen Baumwipfel. „Sie bestehen nur aus einem rudimentären Embryo ohne Nährgewebe, das reduziert das Gewicht“, sagt Sieder.

Durch den unwirtlichen Untergrund auf der Rinde brauchen Orchideen aber einen sogenannten Mykorrhiza-Pilz, der sie mit Nährstoffen beliefert. Einen solchen „Glückspilz“ gibt es freilich nicht für alle Orchideensamen. „Würden alle Samen keimen, wäre die Welt voller Orchideen“, so Sieder. Die große Zahl an Samen sichert dennoch den Bestand.

Um die Pflanzen noch besser beobachten zu können, bauen die Forscher derzeit eine Datenbank auf. 500 Arten sind bereits erfasst. „Es ist wie in einem Schraubenfachgeschäft, wo man sein Inventar kennen muss“, sagt der Gärtner. Aber nicht nur das: So könnte erfasst werden, wann und wie lang welche Pflanze blüht und unter welchen Bedingungen. Das könnte Licht in manche noch offene Frage der Orchideenforschung bringen.

Sieder ist eben von einer Forschungsreise aus Madagaskar zurückgekommen. Dort war er auf der Suche nach zwei wilden Vanillearten, deren Blüte noch nicht wissenschaftlich beschrieben ist: Weil sich die Blätter oft gleichen, sind Orchideen nur eindeutig zuordenbar, wenn sie blühen.

Vanille ist der zweite Schwerpunkt der Wiener Orchideenforschung. Zwar sei die Pflanze sehr bekannt, aber nur wenige wüssten, dass auch sie zu den Orchideen zähle, sagen die Forscher. Nur zwei der zahlreichen Vanillearten weltweit sind essbar, die Früchte der Exemplare auf Madagaskar eignen sich nicht für den Verzehr.

Checkliste für den Grenzschutz

Die gesuchten Pflanzen waren diesmal allerdings bereits verwelkt. Daher gab es nur Blattproben für molekulare Untersuchungen als Ausbeute für die Forscher. Sonst bringen die Wissenschaftler – nach einem umfassenden bürokratischen Prozedere – auch gepresste oder in Alkohol eingelegte Blüten mit. Bis 2005 durften aus Madagaskar noch Lebendpflanzen transportiert werden. Das ist nun nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen nicht mehr möglich – auch für die Wiener Forscher, die selbst eine wichtige Anlaufstelle für den Artenschutz sind.

„Naturschutz ist in Österreich Ländersache“, so Kiehn. Braucht das Einfuhrpersonal an der Grenze aber Rat, dann fragt man gern die Wiener Experten. Zum Schutz der Pflanzen vor illegaler Einfuhr und um den Zöllnern die Arbeit zu erleichtern, haben sie ein umfassendes Nachschlagewerk für Bulbophyllen verfasst. Darin finden sich alle bekannten Bulbophyllenarten inklusive der Synonyme. Zöllner rund um den Globus können hier nachblättern und die Listen mit den Einfuhrpapieren vergleichen.

LEXIKON

Der Botanische Garten der Uni Wien wurde 1754 von Kaiserin Maria Theresia auf Anregung ihres Leibarztes Gérard van Swieten als Medizinpflanzengarten begründet. Mehr als 9500 Pflanzenarten aus sechs Kontinenten werden hier auf rund acht Hektar kultiviert und präsentiert.

Von Mai bis September finden jeden Mittwoch um 16.30 Uhr kostenlose Führungen statt, von Juni bis August jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat. Der Garten ist täglich ab 9.30 Uhr bis eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang kostenfrei zugänglich. Einige Exemplare der Sammlung sind von 7. bis 22.März auf der Orchideenausstellung im Stift Klosterneuburg zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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