Hinab in die Tiefen!

YEARENDER 2007 MAY
YEARENDER 2007 MAYEPA
  • Drucken

Seit 48 Millionen Jahren sind Wale im Wasser, sie haben sich erstaunlich angepasst, fast perfekt. Nicht ganz: Ihre Herzen können leicht ins Flattern kommen.

Wenn Wale tauchen, atmen sie erst einmal aus. Dann schließen sie die Atemlöcher auf dem Kopf und auch den „Gänseschnabel“, der zwischen Kehlkopf und Lunge sitzt, und danach geht es hinab, immer rasch, bisweilen tief und lang. Die (von Forschern aufgezeichneten) Rekorde hält ein Cuvier-Schnabelwal: Er war im Vorjahr in 2992 Metern Tiefe, ein anderes Mal blieb er 138 Minuten unter Wasser. Die Meistertaucher unter den Menschen bringen es auf ganze 318,12Meter bzw. 22Minuten, obgleich auch sie zu den Säugetieren gehören und den gleichen Bauplan haben.

Die Wale mussten ihn modifizieren, als ihre Ahnen, schweinsartige Tiere, vor 48 Millionen Jahren an den Küsten von Kaschmir (das hatte Küsten!) ins Meer stiegen. Dort gibt es bald kein Licht mehr, der Druck steigt, und für Wale verwertbarer Sauerstoff ist ohnehin nicht da. Probleme genug. Das mit dem Licht lösten sie mit Echolokation, dem Orten der Beute mit Schall; sie fanden den gleichen Weg wie die Fledermäuse in ihrer ganz anderen Dunkelheit, zumindest taten das die Zahnwale: Sie jagen, die anderen saugen nahrungsreiches Wasser ins Maul und drücken es durch die Barten wieder hinaus.

Jene mit den Zähnen jagten also, sie taten es so erfolgreich bzw. in so blinder Gier – nicht nachhaltig würde man bei Menschen sagen –, dass sie oben im Meer bald alles abgeräumt hatten. Dort waren sie hinter Nautiloiden her, Kopffüßlern mit harter Schale, leicht zu orten. Dann waren sie verschwunden, nun mussten die Wale wirklich tief hinab, zu den schier unerschöpflichen Vorräten an Fischen und Tintenfischen: Für sie verfeinerten sie die Echolokation, David Lindbergh hat es an Fossilien nachgezeichnet („Lethaia“, 40, S.335).

Umgebaut werden musste natürlich viel mehr, Tauchen braucht Kraft und Zeit, beides darf nicht verschwendet werden, deshalb sparen Wale, wo und wann sie können: Erst holen sie nach Kräften Schwung – mit raschen, starken Flossenschlägen –, und dann, ab ca. 80 Metern Tiefe, stellen sie jede Bewegung ein, sie schießen einfach hinab, und zwar alle: Delfine, Blauwale, Robben auch; Terrie Williams (UC Santa Cruz) beobachtete es an Tieren, die Videokameras trugen (Science, 288, S.133). Beidieser rasenden Fahrt hilft es, dass die Lunge fast leer ist – es gibt keinen Auftrieb –, aber sie bringt das nächste Problem: In tausend Metern Tiefe ist der Druck hundertmal so hoch, die Lunge würde kollabieren, würden die Wale nicht selbst dafür sorgen, in kontrollierter Form: Sie können sie komprimieren, ihre Rippen sind beweglich.


Energiespeicher Muskel. Und die anderen Organe? Sie werden nur noch auf Sparflamme versorgt. Aber Energie brauchen sie doch, und jene im Blut – der vom Hämoglobin gebundene Sauerstoff – ist rasch verbraucht, ersetzt werden kann sie nicht. Deshalb haben Meeressäuger einen anderen Speicher angelegt: Myoglobin. Es bindet Sauerstoff in den Muskeln („mys“), und es ist wohl das Protein, das am detailliertesten erkundet wurde. An ihm klärte John Kendrew 1958 erstmals die Struktur eines Proteins, er erhielt 1962 den Nobelpreis für Chemie (und teilte ihn mit Max Perutz, dem 1959 die Strukturanalyse des Hämoglobins gelang).

Trotzdem bietet es immer noch Überraschungen: Alle Wirbeltiere haben Myoglobin, die Meeressäuger jedoch mehr, bis zu 30 Mal so viel wie Säuger an Land. Man sieht es mit bloßem Auge: Auch Myoglobin enthält Häm, das gibt Muskeln von Landsäugern die rote Farbe. Aber das Fleisch der Meeressäuger ist fast schwarz, so dicht gepackt ist das Myoglobin. Das ist riskant, Myoglobin verklumpt leicht. Zur Prophylaxe haben Meeressäuger die (positive) elektrische Ladung dieser Proteine erhöht, dadurch stoßen sie einander ab, Michael Berenbrink (Liverpool) bemerkte es, als er Konzentration und Ladung des Myoglobin in Säugetieren maß, in Land- und Wasserbewohnern, auch in semiaquatischen wie Bibern: „Die Ladung steigt mit der Zeit, die die Tiere beim Tauchen verbringen“ (Science, 304, S.1303).

Am längsten sind eben manche Wale unten, aber auch sie müssen irgendwann wieder hinauf. Dann droht die nächste Gefahr: Dekompressions- vulgo Taucherkrankheit. Im Druck der Tiefe lösen sich Gase im Blut, die bei zu raschem Aufstieg Bläschen bilden oder die Blutgefäße und Organe verstopfen können, bei Menschen sogar bis zum Tod. Doch nur bei so unerfahrenen und ungeschickten Tauchern wie bei uns? Nein, auch bei solchen, die im Alltag im bzw. unter Wasser sind, 2014 bestätigte Daniel Garcia-Párraga (Valencia) die alte Vermutung an Caretta caretta, der Unechten Karettschildkröte (Diseases of Aquatic Organisms, 111, S.192). Auch bei Walstrandungen gibt es diesen Verdacht, und den zusätzlichen, dass anthropogener Höllenlärm – von Schiffsschrauben, Ölexploration, vor allem aber vom Militär mit seinen Sonaren – die Tiere in Panik aus der Tiefe treibt.

Aber auch wenn sie dort ungestört sind, haben sie noch ein Problem, ein zentrales: Sie können nicht ewig bewegungslos bleiben, sie sind schließlich zum Jagen dort. Dann kann das Herz ins Flattern kommen: Beim Tauchen schlägt es kaum („Bradykardie“), und beim Jagen muss es auf Touren kommen, abrupt und auf hohe („Tachykardie“). Die Umstellung ist hart, wieder hat es Williams bemerkt, an Delfinen und Robben: 70Prozent haben mit Herzrhythmusstörungen zu kämpfen (Nature Communications, 15.1.): „Wir glauben, Meeressäuger wären völlig an das Leben im Wasser angepasst“, schließt er. „Aber nicht einmal 50 Millionen Jahre Evolution haben gereicht.“

Sind sie endlich wieder oben und heil, dann pressen sie die letzte Luft aus den Lungen. Das wäre ihnen fast zum finalen Verhängnis geworden. Denn dann schrien sich auch Ausgucke wie Ismael hoch in den Rahen und Kapitäne wie Ahab mit den Lanzen in der Hand die Lungen aus dem Hals: „Da bläst er! Da!... Da-a-a blä-ä-ä-st er!“ Bläst er, oder schleudert er Fontänen? Er bläst, aber seine letzte Luft ist so eiskalt von der Tiefe, dass das Wasser in ihr in der Außenluft kondensiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.