Eine Piratin lehrt US-Geschichte

Literatur. Fanny Campbell ist eine Groschenroman-Piratin, die für die amerikanische Unabhängigkeit und um ihre Liebe kämpft.

Emigranten strömten in der Mitte des 19.Jahrhunderts in die USA. Die Einwanderungsgesellschaft kannte viele Sprachen und Bräuche. Das Land war noch sehr jung. Erst 1776 gegründet, suchte es noch nach seiner eigenen Geschichte und musste diese in der Bevölkerung verbreiten. „Die meisten Zuwanderer hatten aber keine Ahnung von der amerikanischen Geschichte. Ihnen fehlte zumeist der Zugang zu gehobener Literatur und Schulbildung“, sagt Alexandra Ganser, Amerikanistin an der Uni Wien.

Hier kamen die billigen, leicht zu lesenden Groschenromane ins Spiel. Die Autoren vermittelten in diesen Geschichte und konstruierten nationale Helden. „Es war der Versuch, mit simplen Erzählungen alle auf eine Nation einzuschwören und somit die Einwanderer besser zu integrieren“, so Ganser, die in einem Projekt des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF auf die „Schundromane“ des 19. Jahrhunderts stieß.

„Fanny Campbell“ war einer der erfolgreichsten Romane dieser Art. Das knapp 120-seitige Buch erschien erstmals im Jahr 1844. Die Geschichte handelt von einer Tochter eines armen Fischers zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges um 1776. Der Fischer erzieht die Tochter als Sohn. Das hieß damals, dass sie Seefahren, Reiten, Jagen und Fischen lernte. Ihr Name war Fanny Campbell. Als junge Erwachsene verliebt sie sich, dann zerbricht das Idyll. Ihr Geliebter zieht auf der Seite der Unabhängigkeitsbewegung in den Krieg, wird entführt und auf Kuba gefangen genommen. Fanny entschließt sich, ihn zu befreien. Als Mann verkleidet heuert sie auf einem Schiff an und wird – da es noch keine anerkannte US-Navy gibt – zur Piratin, die gegen die Briten, für ihre neue Nation und für ihre Liebe kämpft.

Der Roman wurde zum Kassenschlager. „Die Kombination aus Romantik und Piraterie funktionierte damals genauso gut wie heute in Hollywood-Filmen“, sagt Ganser. Das Buch war auch deshalb so beliebt, weil es einfach geschrieben und leicht verdaulich war. Damit erreichte es auch die Arbeiterschichten und Migranten. Diese Fiktion beeinflusste somit tatsächlich das historische Denken einer breiten Bevölkerung.

Maturin Murray Ballou schrieb das Stück und noch eine Unmenge an weiteren Groschenromanen. Ganser sagt: „Er war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schreibmaschine.“ Er begründete zudem ein Verlagsimperium und wurde unter anderem Herausgeber der „Boston Daily Globe“, einer renommierten Tageszeitung. (por)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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