Wie der Speichel versuchte, Karies abzuwehren

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Das Leiden kam mit der Agrikultur, die Evolution reagierte.

Den „schlimmsten Fehler in ihrer Geschichte“ habe die Menschheit begangen, als sie vor 11.000 Jahren in der Neolithischen Revolution sesshaft wurde und die Landwirtschaft erfand. Das Urteil fällte 1987 Tausendsassa Jared Diamond – zuletzt schrieb er „Kollaps“, darin sieht er ganz andere schlimmste Fehler, ökologische Sünden vor allem –, er hatte gute Gründe dafür: Nach der Neolithischen Revolution wurden die Menschen zunächst kleiner, die Lebenserwartung sank, und es kamen ganz neue Leiden, etwa am Gebiss, Karies vor allem.

Dahinter stand die neue Ernährung aus domestizierten Gräsern – von dreien lebt die Menschheit heute: Weizen, Mais, Reis –, diese veränderten die Mundflora, lockten neue, ungute Bakterien an. Das war bei Diamond noch Hypothese; vor zwei Jahren wurde es gezeigt: an heutigen Genomen des Bakteriums und, parallel, an Zähnen aus der Zeit vor und nach der Neolithischen Revolution. Sie haben im Zahnstein noch die Bakterien, und sie stellten ihre Populationen um; es gab viel weniger Arten als bei Jägern und Sammlern. Vor allem eine breitete sich aus, Streptococcus mutans: Es bildet Plaque auf den Zähnen, nährt sich von Kohlehydraten und scheidet Säure aus, die sich in den Zahnschmelz frisst.

Bakterien weniger stark festkleben!

Karies setzte den frühen Bauern arg zu, die Evolution ließ sich etwas einfallen: S. mutans setzt sich nicht nur von allein auf die Zähne, ihm hilft ganz unabsichtlich ein Bestandteil des Speichels, Agglutinin. Dies ist eine Waffe des Immunsystems, sie kommt in zwei Versionen von verwandten Genen und bindet verschiedene Viren und Bakterien an sich. Aber sie bindet sie auch an Hydroxyapatit, es ist in unseren Knochen und Zähnen, viel ist im Schmelz. Nun wurden die zwei Gene sehr häufig umgebaut, zugleich veränderte sich die Aktivität, die eine Version bildete viele Kopien, ihre Proteine binden schlechter an die Zähne als die der anderen Version. Edward Hollox (Leicester) hat es rekonstruiert („Pnas“, 6. 4.).

„Karies war eine Triebkraft der Evolution“, schließt der Forscher. Dann blieb alles unverändert bis ins 19. Jahrhundert, dann kam der raffinierte Zucker, gegen ihn fand die Evolution nichts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2015)

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