Wirken Placebos? Das kommt auf die Gene an!

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Auf Mittel ohne Wirkstoff sprechen Individuen ganz unterschiedlich an, das ist ein großes Problem für Tests möglicher neuer Medikamente. Man könnte es mit Tests aller beteiligten Gene mildern.

Pillen aus Brot, Pulver aus Asche, gefärbtes Wasser. Zu diesen Mitteln griffen Ärzte seit Jahrhunderten bei Patienten, denen sie mit Medizin nicht helfen konnten. Und bei manchen wirkte es auch, man schrieb es bisweilen mangelnder Intelligenz oder übersteigerter Einbildungskraft zu. Letzteres änderte sich im Zweiten Weltkrieg: Dem US-Anästhesisten Henry Beecher fiel in Spitälern auf, dass verletzte Soldaten viel weniger nach Schmerzmitteln riefen als Zivilisten mit vergleichbaren Wunden. Es lag offenbar daran, dass verletzte Soldaten überlebt hatten und sich in Obhut wussten, die Zivilisten hingegen aus ihrem Alltag herausgerissen waren und in eine ungewisse Zukunft sahen.

Beecher ging der Sache nach, 1955 publizierte er eine Studie – „The Powerful Placebo“ –, derzufolge 35 Prozent aller Patienten auf Mittel reagieren, in denen überhaupt kein Wirkstoff ist, kein Verum, sondern nur Schein: Der Name Placebos stammt aus dem Mittelalter, mit ihm wurden bezahlte Trauernde bezeichnet, später hießen diese Pompfüneberer. Beechers Studie schlug ein, es gab allerdings auch viele Zweifel. Noch 1995 kam eine große Studie als Gegenbefund: Was kein Verum hat, wirkt auch nicht. Aber da war längst klar, dass Placebos Kraft haben können – physiologische. Man ging auch den Mechanismen nach, vor allem bei Schmerzen: Dort zeigt sich die Wirkung am deutlichsten, die Heilserwartung aktiviert die Produktion von körpereigenen Schmerzdämpfern, endogenen Opoiden.

Endogene Opoide, Neurotransmitter

Aber auch Neurotransmitter spielen mit, und die therapeutische Situation spielt mit – eine Placebospritze muss schon von einem Arzt oder einer Schwester verabreicht werden. Kommt sie von einer Maschine, zeigt sich kein Effekt. Dafür wirkt eine Akupunkturnadel auch dann, wenn sie überhaupt nicht in die Haut geht – sondern, vom Patienten unbemerkt, zurückfährt wie ein Theaterdolch –, aber der Setzende den Patienten wohl umhegt. All das hat vor allem einer erkundet, Ted Kaptchuk (Harvard), ihm fiel auch auf, dass manche Menschen sehr stark auf Placebos reagieren, andere gar nicht.

Mit diesem Problem kämpft auch die Pharmakologie. Wie soll sie einen Wirkstoff testen? Sie tut es im Vergleich mit Placebos und in Doppelblindstudien. Für Letztere legte die katholische Kirche im 16. Jahrhundert das Fundament, um zu klären, ob ein Wirrer vom Teufel besessen war oder irdisch krank: Man zeigte ihm eine gefälschte Reliquie. Schrie er doch, war er krank, der Teufel hätte den Trug durchschaut. In die Wissenschaft hielt das Mitte des 18. Jahrhunderts Einzug, als Mesmer mit Magnetismus zu heilen behauptete: Zum Prüfen drückte man Patienten vorgebliche Magneten in die Hand, die keine waren. Doppelblind wird die Studie, wenn auch der Experimentator nicht weiß, was er verabreicht – das wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Standard in der Pharmakologie. Nun blieb nur noch ein Problem: das der individuellen Sensitivität der Testpersonen.

Bisher versuchte man es etwa mit Persönlichkeitsprofilen, nun prescht wieder Kaptchuk vor und plädiert für Analysen des Placeboms, das ist die Gesamtheit aller Gene bzw. Genvarianten, die beim Ansprechen auf Placebos mitspielen. Kaptchuk fasst das bisherige Wissen zusammen: Neben Genvarianten für endogene Opoide bzw. ihre Rezeptoren spielen vor allem Varianten für die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin mit hinein („Trends in Molecular Medicine“, 13. 4.). Viel mehr weiß man noch nicht, bedauert Kaptchuk: „Das Placebom steckt in den Kinderschuhen.“ Und bevor es herauswächst, wären viel ethische Fragen zu klären, etwa die, ob Ärzte ihre Patienten darauf testen und ihnen den Befund auch verraten sollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2015)

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