Die Almwiese im Wohnzimmer

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Bauökologie. Ein Tiroler Unternehmen produziert Wände, Möbel und Carports aus Kräutern oder Rosen, aus Vanille, Zimt und Pfeffer. Damit soll die Natur in unsere Gebäude geholt werden.

Ein 84-jähriger Mann senst jedes Jahr im August auf 1700 Meter Seehöhe Almenheu ab. Er mäht die Wiesen an den Hängen der Wildspitze – des zweithöchsten Berges Österreichs – dort, wo sie ansonsten brach lägen. Er lässt das Heu in der Sonne trocknen und trägt es danach mit einer Buckelkraxe dreihundert Meter hinunter in Richtung Fahrweg. Schließlich transportiert der alte Mann sein Naturprodukt mit dem Traktor ins Tal, zum Firmensitz von Organoid Technologies in Wenns in Tirol.

Die Firma verwendet natürliche Rohmaterialien, etwa Pfefferminzstängel, Rosenknospen, Kaffeebohnen oder Kürbiskerne und sprüht sie auf verschiedene Trägermaterialien: Das kann Holz sein, aber auch Stoffe oder Papier. Auch das Almenheu der Wildspitze beschichtet die jeweils gewünschten Materialien.

„Mir ist aufgefallen, dass gerade in modernen Gebäuden immer mehr Glas, Hochglanz und unpersönliche technische Materialien eingesetzt werden. Natur kommt oft nur in Form von einer vertrockneten Topfpflanze oder von irgendwelchen Plastikbäumen hinein“, sagt Martin Jehart, einer der Geschäftsführer von Organoid Technologies.

Kleber wie in Kaugummi

Die Firma verbindet jedes vorstellbare Naturprodukt mit dem Trägermaterial von Gebäuden und Möbeln. Wobei Jehart darauf achtet, dass die Bindemittel frei von Weichmachern, Bioziden und Lösungsmitteln sind. „Unsere Kleber sind dieselben wie in Kaugummis“, sagt er. Jehart und sein Partner Christoph Egger verwenden grundsätzlich gesunde, natürliche Materialien und setzen sie als organische und frei formbare Gebäudeteile ein.

Dabei werden natürliche Faserwerkstoffe wie Hackschnitzel, Schilf, Stroh, Weizen, Fichtennadeln, Flachsfasern oder Altpapier mit dem biologischen Bindemittel vermischt. Der Herstellungsprozess ist so aufgebaut, dass er sich für vielfältige Anwendungen, von einer kleinen Obstschale bis hin zur Inneneinrichtung ganzer Büros eignet.

Bürosessel für 300 Euro

Das Material soll aber auch wenig kosten. Deshalb steht momentan die Beschichtung im Vordergrund. Denn kommerziell sind etwa Sitzschalen für Bürosessel noch nicht erfolgreich. Die Konkurrenzschalen aus Plastik kosten zirka drei Euro, während organoide Sessel in der gleichen Größe ungefähr 300 Euro kosten. „Deshalb werten wir mit unserem Sprühverfahren zurzeit vor allem flache Platten aus unterschiedlichen Materialien auf“, erklärt Jehart. Doch künftig gehe es auch darum, Produkte ohne Trägermaterial verkaufen zu können.

Seit der Gründung vor drei Jahren ist Organoid Technologies eine – auch vielfach mit Design- und Innovationspreisen ausgezeichnete – Vorzeigemanufaktur in Tirol geworden. Das liegt nicht nur am außergewöhnlichen Erscheinungsbild der Dekorbeschichtungen, sondern auch am nachhaltigen Ansatz der Firma: „Wir wollen Materialien direkt aus dem Umfeld verwenden, aber auch Abfall und Nebenprodukte“, sagt Jehart. Als Beispiel nennt er die Teeproduktion, wo das Blatt zwar in den Beutel komme, aber die Stängel weggeworfen werden. Das Tiroler Team verwendet sie als duftende Dekorbeschichtung.

Lieblingstee an der Wand

Der Kunde kann seine liebste Teesorte als Stilmittel in die Wohnung holen und sie gleichzeitig beschnuppern. Denn der angenehme Duft bleibt durch das Verfahren von Organoid Technologies erhalten. Es mache keinen Unterschied, ob jemand am Rohmaterial oder den besprühten Materialien rieche. Deshalb sei Pfeffer als Wand „vielleicht eine etwas ungeschickte Wahl“, sagt Jehart.

Die Aromen wirken sich auch auf menschliche Empfindungen aus: „Wenn eine Umgebung nach Rosen duftet, bist du sinnlicher. Wenn dich Vanilleduft umgibt, beruhigt das. Lavendel steigert die Konzentration. Ringelblumen pflegen die Haut, weil die Wirkstoffe direkt vom Material in deinen Organismus übergehen“, so Jehart.

Der Hersteller vertreibt die Ware mittlerweile in 35 Ländern. Architekten und Tischler folgen dem Trend nach authentischen und fühlbaren Naturprodukten. Sie statten vor allem Wandpaneele in Büros und Hotels damit aus. Künftig sollen auch die Büromöbel selbst aus den Naturmaterialien bestehen: „Wenn ich an schöne Erlebnisse denke, haben diese nicht in einer Tiefgarage stattgefunden, sondern eher auf einer schönen Wiese, am Strand oder im Wald“, sagt Jehart, „Wir versuchen nicht nur eine schon vorhandene Betonwüste aufzupeppen, sondern wirkliche Natur in die Innenräume zu bringen.“

Ohne Ecken und Kanten

Die Zukunft der organoiden Plattformtechnologie soll noch weiter gehen. Die rechtwinkeligen und eckigen Gebäude aus Beton, Stahl und Glas sollen durch organoide Bauweisen ergänzt werden. Jehart will später Häuser bauen, die freie Formen haben, keine Ecken und Kanten. Sie sollen aus biologischen Rohmaterialien wie Baumrinden oder Stroh hergestellt werden.

Einen erfolgreichen Versuch hat er schon durchgeführt. Ein Carport wurde aus Stroh und Baumrinde gebaut, ohne ein Trägermaterial. Jehart verwendete dazu einen aufblasbaren Pneu – eine Art riesigen Luftballon – den er im Boden verankerte. Auf diesen trug er die Stroh- und Rindenmischung auf. Sobald es ausgehärtet war, konnte er die Luft aus dem Pneu herauslassen, die Schale blieb übrig. Es ist seine Vision, mit diesem und ähnlichen Verfahren ganze Häuser zu bauen.

Das Österreichische Wirtschaftsservice (AWS) förderte Jeharts Projekt, damit aus einer Idee eine funktionierende Firma entstehen konnte. Es unterstützte die Vorgründungs- und die Gründungsphase mit dem „Pre-Seed“- und dem „Seed“-Förderprogramm.

LEXIKON

Organoid setzt sich aus „organisch“ – im Sinn von natürlich, naturbelassen – und der altgriechischen Nachsilbe -oid für ähnlich zusammen. Die Organoide Technologie vermischt natürliche Faserwerkstoffe, wie Alpenkräuter, Vanille, Baumrinden oder Stroh, mit biologischen Bindemitteln. Dieses Naturgemisch kann auf jedes gewünschte Trägermaterial gesprüht werden. Es dient als Dekor, behält aber gleichzeitig die natürlichen Düfte der Rohstoffe bei. Künftig sollen ganze Häuser aus Naturprodukten bestehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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