Die kluge Wahl nutzt den Patienten

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Themenbild(c) Erwin Wodicka
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Überdiagnostik. Gute Medizin kann auch bedeuten, Patienten unnötige Behandlungen zu ersparen. Das soll zugleich helfen, Kosten zu senken. Forscher beraten Entscheidungsträger dabei.

Es ist logisch, dass Kostenträger Kosten sparen wollen, bei Klinikern ist das eher eine Rarität. „Doch jetzt entsteht in vielen Ländern der Welt eine Bewegung von Ärzten und Klinikern, die Überdiagnostik und Übertherapie aufdeckt und kritisiert“, sagt Sozialmedizinerin Claudia Wild vom Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment (HTA) in Wien.

Aufgabe des Instituts für HTA ist es, Politiker und Kostenträger im Gesundheitssystem in ihren Entscheidungen zur Ressourcensteuerung zu beraten. „Wir sind keine herkömmliche Forschungsinstitution, sondern verstehen uns als wissenschaftliche Politikberatung. Wir müssen aber große Distanz zu unseren Auftraggebern halten“, erklärt sie. Praktisch heißt das, dass das Institut alljährlich Arbeitsaufträge vom Gesundheitsministerium, dem Hauptverband der Sozialversicherungen und den Bundesländern und ihren Krankenanstaltenverbänden bekommt, deren Erledigung dazu beitragen soll, Kosten zu senken. 2015/16 streben die Wissenschaftler an, die Beurteilung neuer onkologischer Medikamente zu erleichtern. Außerdem soll weiter erforscht werden, wie man verhindern kann, dass Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) in unangemessener Weise zur Diagnostik eingesetzt werden. Dabei werden einzelne Körperregionen in den Fokus gestellt, zum Beispiel der Rücken, das Knie und die Schulter.

Pilates statt teurer Diagnostik

Um Erkrankungen vorzubeugen, soll die Wirksamkeit finanzieller oder anderer Anreizsysteme auf Veränderungen im Gesundheitsverhalten der Bevölkerung untersucht werden. Ziel könnte etwa sein, Patienten dazu zu bewegen, ihre Rückenmuskulatur durch Pilates zu stärken und so langfristig die Anzahl teurer MRT wegen Rückenschmerzen zu verringern, so Wild.

Die MRT ist im Gegensatz zur CT strahlenfrei und damit patientenfreundlich, aber auch teuer. Einen ersten Projektbericht dazu, wie ihr Einsatz reduziert werden kann, erstellten Wild und ihr Team 2014. „Darin wurde untersucht, wie in anderen Ländern unangemessene radiologische Diagnostik identifiziert wird, und welche Steuerungsinstrumente eingesetzt werden, um diese Fehlentwicklung zu vermeiden“, so Wild.

In amerikanischen, kanadischen und britischen Programmen empfohlene Indikationen für MRT wurden tabellarisch zusammengestellt und mit den österreichischen verglichen. Analysiert wurden z.B. die Empfehlungen der „Choosing Wisely“-Campaign in den USA und in Canada. Diese Organisation existiert inzwischen in mehr als zehn Ländern. Sie veröffentlicht Listen mit Diagnostik- oder Therapiemaßnahmen, die häufig durchgeführt werden, obwohl die Evidenz dafür fehlt, wie etwa MRT bei manchen Rückenbeschwerden.

An den Listen wird von Experten im Vergleich zu gemeinsamen Leitlinien international allerdings kritisiert, dass sie keine einheitlichen methodischen Anforderungen stellen, keine expliziten Priorisierungskriterien formulieren oder aber zur leichtfertigen Streichung von Leistungen missbraucht werden können.

Zuweiser genauer steuern

Der HTA-Projektbericht zieht aus dem Vergleich für Österreich die Konsequenz, zu empfehlen, die Zuweiser für MRT genauer zu steuern. Außerdem sei es notwendig, die zuweisenden Hausärzte besser auszubilden. Der in Ambulanzen herrschende Zeitmangel und hohe Ansprüche der Patienten setzten auch Ärzte in Spitälern zu oft unter Druck. Genaue Vorgaben könnten hier Abhilfe schaffen.

Ein Frühbewertungssystem für neue onkologische Medikamente steht seit Jahren auf der Agenda des Instituts. Laut Wild soll es diejenigen unterstützen, die über die Spitalleistungskataloge in den Bundesländern zu entscheiden haben. So gebrieft könnten die Verhandlungsführer den Spitälern, die neue, teure Krebsmedikamente anforderten, auf Augenhöhe entgegentreten.

Diese Entwicklung werde sich fortsetzen, so Wild: „Ich vertraue auf die nächste Generation Mediziner. Sie werden erkennen, dass Medizin in westlichen Ländern ein Selbstbedienungsladen geworden ist. Die Kosten wachsen aus ökonomischen Gründen sehr viel stärker als erforderlich wäre, um denselben Nutzen für Patienten zu erzielen.“

LEXIKON

Die „Choosing Wisely Initiative“ wurde 2011 von der ABIM (American Board of Internal Medicine)-Stiftung gegründet. Ziel ist es, im Arzt-Patienten-Gespräch das Bewusstsein für überflüssige Behandlungen zu schärfen. Ferner konnten 50 medizinische Fachgesellschaften in den USA davon überzeugt werden, Top-5-Listen mit fünf medizinischen Maßnahmen zusammenzustellen, die Patienten nicht helfen, ihnen vielleicht sogar schaden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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