Wann und wo lernten die Wölfe das Kuschen?

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Bei der Domestizierung der Wölfe ging die Kooperation untereinander verloren und wich der von Hund und Mensch, das zeigte sich im Wolfszentrum Ernstbrunn. Unklar sind Ort und Zeit des Geschehens.

Wenn Hunde und ihre Halter einander in die Augen sehen, steigen in den Gehirnen beider die Gehalte an Oxytocin, das ist das Hormon, mit dem auch unter Menschen Vertrauen gebildet wird, zwischen Müttern und Kindern, aber auch breiter. Nun gar über die Artgrenzen hinweg: Mit jedem Blick, den Herr und Hund tauschen, haben beide mehr Oxytocin im Gehirn, auch im restlichen Körper. Takefumi Kikusui (Azabu University) hat es gerade gezeigt, er hat alle Beteiligten in sein Labor gebeten und vor und nach dem Test des Blicks zu einem des Urins. Es schaukelt sich hoch: Die Gehalte stiegen, die Augenkontakte wurden länger (Science 384, S. 333).

Ganz anders geht es zu, wenn manche Hundeforscher einander unter die Augen geraten, da steigen die Gehalte an Adrenalin: Seit Jahrzehnten tobt zwischen zwei Genetikern ein erbitterter Streit, wann und wo des Menschen bester Freund domestiziert wurde. Die Grundlagen legte schon Darwin, er spekulierte, dass Hunde einer Mischung von Wölfen und Schakalen entstammen könnten. Aber an welchem Ort, zu welcher Zeit? 1977 fand man in Israel das Skelett eines Hundes, der vor 12.000 Jahren gelebt hatte, das deckt sich etwa mit der ersten Landwirtschaft.

Aber dann kamen 400 Jahre ältere Funde in Russland und Deutschland, da waren die Menschen Jäger und Sammler. Noch mehr Verwirrung stiftete die Genetik: Eine Analyse von 300 heutigen Arten legte 1997 nahe, die ersten Hunde habe es vor 135.000 Jahren gegeben, spätere Studien kamen auf 30.000 Jahre. Das ärgste Stechen aber brachte die Frage, wo der Hund domestiziert worden war: Auf der einen Seite stand Peter Savolainen (Stockholm), er baute in den 1990er-Jahren die erste Hunde-DNA-Datei auf – für Gerichtsmediziner –, er erweiterte sein Interesse und suchte weltweit in den Haaren von 1500 Hunden nach dem Ursprung: Er fand ihn vor 16.300 Jahren in China.

Der Hund kam auf den Menschen

Widerspruch kam von Robert Wayne (UC Los Angeles), der schon in den 1980er-Jahren begann, Hunde-DNA zu untersuchen, aber nichts davon hält, bei heutigen Hunden anzusetzen. Er analysierte stattdessen Fossilien: Vor 19.000 bis 32.000 Jahren sei die Menschheit auf den Hund gekommen, in Europa. Der Streit eskalierte so, dass die beiden nicht mehr miteinander sprachen, nun haben andere Forscher geschlichtet, die Streithähne und den Rest der Zunft zu einem Neuanlauf zusammengebracht (Science 384, S. 274).

Klarer war bisher schon, dass der Hund vom Wolf abstammt und sich zunächst wohl selbst domestizierte, er bediente sich bei Abfällen des Menschen. Im zweiten Schritt griff der Mensch ein und nutzte Hunde für seine Zwecke, manche Fossilien haben Abdrücke von Tragegestellen, andere von Zuggeschirren. Äußerlich wandelte sich der Wolf dabei wie alle Tiere, die domestiziert werden: Die Gesichter runden sich, die Ohren hängen herab etc. Aber was ist im Inneren?

Dieser Frage geht seit Jahren eine Gruppe um Friederike Range (Vet-Med) im Wolf Science Center in Ernstbrunn nach, dort werden Wölfe und Hunde in Rudeln gehalten. Diesmal prüfte man die Hypothese, dass Hunde untereinander toleranter sind und besser kooperieren, darauf sei gezüchtet worden. Getestet hat man es, indem man Wolfspaare und Hundepaare aus ranghohen und rangniederen Tieren zusammenstellte und ihnen Futter anbot: Bei den Wölfen griffen auch Rangniedere zu, die Ranghöheren knurrten allenfalls ein wenig, bei den Hunden war es ganz anders, Ranghohe machten sich über das Futter her, Rangniedere trauten sich nicht einmal in die Nähe.

Wölfe lernten bei ihrer Domestizierung zu Hunden demnach das Kuschen. „Wölfe sind tolerant genug für eine Wolf-Wolf-Kooperation, welche die Basis für die Hund-Mensch-Kooperation gelegt haben mag“, schließen die Forscher (Proc. Roy. Soc. B. 21. 4.) daraus. Man darf also vermuten, dass sich bezüglich Oxytocin gar nichts tut, wenn Hunde einander in die Augen blicken. Bei Wölfen schon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.