Psychologie: Tarnkappe schützt vor sozialem Stress

(C) Universal
  • Drucken

Schwedische Forscher haben die Sinneswahrnehmung von Testpersonen so manipuliert, dass die sich für unsichtbar hielten. Ihre Körper spürten sie schon, aber böse Blick anderer berühren sie nicht.

Die Tarnkappe ist ein alter Traum der Menschheit, bei H. G. Wells wurde sie zum Albtraum: Ein Chemiker erfindet ein Verfahren, den Brechungsindex seines Körpers dem der Luft anzugleichen, er wird unsichtbar, kann es aber nicht mehr rückgängig machen. Mit ähnlichen Mitteln kann man heute Gegenstände verschwinden lassen, dem Physiker Hongsheng Chen (Hangzhou) ist es auch schon bei einem Fisch und einer Katze gelungen (arXiv: 1306.1780v1).

Irgendwann wird es auch bei Menschen so weit sein. Wie werden sie reagieren? Eine erste Erkundung hat Arvid Guterstam (Stockholm) unternommen, er hat eine besondere Illusion erzeugt, eine, in der eine Person sich selbst nicht mehr sieht. Dass Sinne sich so verwirren lassen, hat sich in den 1990er-Jahren bei der „rubber hand illusion“ gezeigt: Wenn eine Testperson (a) vor einem Tisch sitzt und eine Hand unter dessen Platte hält, und wenn (b) zugleich auf dem Tisch eine Hand aus Gummi liegt, und wenn dann (c) ein Experimentator die echte Hand unter dem Tisch und die sichtbare auf ihm an den gleichen Stellen mit einem Pinsel streichelt – dann übertölpelt das Gefühl das Auge, in dem verwandelt sich die Gummihand in die echte.

Diese Illusion ließ sich mit Mitteln der virtuellen Realität dahin erweitern, dass man ganze Körper vorspiegeln kann, die Probanden für ihre eigenen halten, auch wenn es Körper des anderen Geschlechts oder die von kleinen Kindern sind: Dazu hat man die Testpersonen in Datenbrillen Mannequins gezeigt und deren Körper und die der Probanden an den gleichen Stellen gereizt. Das funktioniert so gut, dass Testpersonen Schweiß ausbricht, wenn ihre Kunstkörper mit einem Messer bedroht werden.

Messer droht? Schweiß bricht aus!

Später drehte man alles um, nun kam die „invisible hand“: Diesmal war oben auf dem Tisch überhaupt nichts, diesmal fuhr der Experimentator mit dem Pinsel nur um einen leeren Raum in Form einer Hand herum, das brachte den Eindruck, die Hand sei unsichtbar. Und nun hat Guterstam ganze Personen für ihre eigenen Blicke verschwinden lassen: Er hat die Datenbrille so eingestellt, dass die Probanden nichts sehen, wenn sie auf ihren eigenen Körper herabblicken. Aber sie spüren wieder etwas, der Pinsel überstreicht diesmal diesmal die ganze Körperform, am echten Körper und im – leeren – Blickfeld.

Dann bedrohte wieder ein Messer, wieder brach Schweiß aus, die Testpersonen fühlen ihren Körper durchaus. Aber sie halten sich für unsichtbar: Wenn sie in sozialen Stress kommen – Guterstam bat gleich elf Mitarbeiter, sich vor den „Unsichtbaren“ aufzubauen und sie böse anzuschauen –, gerieten sie nicht unter Stress, sie fühlten sich auf Befragen „relaxed“, ihre Herzen schlugen auch kaum höher (Scientific Reports 23.4.).

In der nächsten Runde will Guterstam testen, wie Tarnkappen sich auf das Handeln auswirken, insbesondere auf das moralische.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.