Unsichtbare Zeugen aus der Natur

Biene sammelt Bluetenstaub
Biene sammelt Bluetenstaub (c) www.BilderBox.com
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Kriminalistik. Mit Pollen lassen sich Verbrechen lösen. Wiener Biologen arbeiten dazu als eine der wenigen Forschergruppen weltweit eng mit der Polizei zusammen. Jetzt untersuchen sie auch Spuren an Schuhen in Innenräumen.

Als er nicht mehr nach Hause kam, meldete Walter Paschingers Mutter ihren Sohn als vermisst. Die Sorge war berechtigt, denn schon bald gestand dessen amtsbekannter Freund, Friedrich Buchter, ihn mit einem Revolver erschossen zu haben. Den Tatort wollte er aber nicht nennen. Dann schaltete sich der Geologe und Paläobotaniker Wilhelm Klaus von der Uni Wien ein. Er untersuchte Schuhe und Kleidung des Verdächtigen und fand Pollen der Hickory-Nuss, die es nahe Wien nur bei Spillern gibt. Damit konfrontiert gestand Buchter und führte die Ermittler zur Leiche. Das war 1959.

Der Kriminalfall erlangte historische Bedeutung. Österreich war das erste Land der Welt, in dem die Pollenanalyse den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung eines Mordes brachte. Dann geriet die Methode in Vergessenheit. Mehr als 50 Jahre später arbeitet Martina Weber von der Abteilung für Strukturelle und Funktionelle Botanik der Uni Wien als eine von wenigen Wissenschaftlern weltweit in der Forensischen Palynologie. Dabei nutzen Forscher Pollen als für das freie Auge unsichtbare Zeugen von Verbrechen. Erst unter dem Licht-, Raster- oder Transmissionselektronenmikroskop werden die Transportbehälter des männlichen Pflanzenerbguts als Indizien erkennbar.

Pollenkörner sind überall

„Pollenkörner gibt es immer und überall“, sagt Weber. „Auf jeder Oberfläche, in jeder Ritze und Rille ist Pollen.“ Daraus ergibt sich ein eindeutiges Profil eines Orts, das sich nach Jahreszeit unterscheidet. Beim Menschen sammelt sich Pollen besonders in den Haaren, Augenwinkeln oder Körperöffnungen. Und auch wenn jetzt Hochsaison ist: Pollen gibt es zu jeder Jahreszeit, Parkbäume blühen bis in den Herbst, Zimmerpflanzen auch im Winter.

„Pollenkörner transportieren die Spermazellen zum weiblichen Teil einer blühenden Pflanze“, sagt Weber. Das funktioniert mit Wind, Wasser oder Tieren, vor allem Insekten. Damit das Erbgut unbeschadet ans Ziel kommt, ist die Pollenwand extrem widerstandsfähig. Selbst 20 Millionen Jahre alter, in Eis oder Gestein eingeschlossener Pollen erlaubt Forschern noch Rückschlüsse auf das Leben längst vergangener Zeiten.

Um Pollen aus aller Welt eindeutig zu erkennen, bauen Wiener Pollenforscher seit einigen Jahren die größte Pollendatenbank der Welt auf (siehe Bericht unten). Aber auch Nichtblütenpflanzen hinterlassen Spuren: Farne, Moose und Pilze produzieren Sporen, die sich sichern und forensisch verwerten lassen. Daher greift die Polizei gern auf Webers Wissen zurück: Dann wird sie über die Staatsanwaltschaft angefordert. Und erst kürzlich schulte sie mit ihrem Team für das Bundeskriminalamt Wiesbaden 16 Kriminaltechniker.

Jeder Fall ist einzigartig

Für Weber mehr als nur eine willkommene Abwechslung: „Man braucht Fälle, um die Forschung weiterzuentwickeln. Theorie allein reicht da nicht aus.“ Jeder Fall sei anders, das mache die Arbeit besonders spannend. Schließlich könne man sich hundertmal etwas ausdenken, überprüfen lasse es sich eben nur in der Realität.

Die Polizisten wissen zwar mittlerweile, wie sich Pollen gut sichern lässt, sagt sie. Lieber rückt Weber mit ihrem Team aber selbst zum Staubwischen für die Wissenschaft aus und sammelt an Tatorten Spuren. Ist es für eine Forscherin nicht schwierig, plötzlich vor einer Leiche zu stehen? In dem Moment stünden die Fakten im Fokus, da sei sie ganz Naturwissenschaftlerin, sagt sie. Anders sei das wahrscheinlich emotional auch nicht gut zu bewältigen.

Etwa bei einer Babyleiche, die in einer Schachtel in Heu gebettet war. Oder als in der Au bei Muckendorf eine Tote lag. Vor allem wenn der Fundort einer Leiche nicht der Tatort ist, fragt die Polizei gern bei ihr nach. Weber und ihr Team helfen bei der Suche nach Tatorten. Mithilfe des Pollens können die Forscher auch feststellen, ob ein Verdächtiger am Tatort war.

Mindestens 300 Körner

Damit sich Pollen als Beweis nutzen lässt, braucht man zunächst genug Material. „Ein Pollenkorn ist kein Pollenkorn“, sagt Weber. Erst 300 Pollenkörner in einer Probe gelten als aussagekräftig. Daher dürfe man kein Material verlieren oder es verunreinigen.

Textilien werden speziell gewaschen, um den Pollen daraus zu isolieren. Der Pollenaufguss wird in einer Zentrifuge abgeschleudert und mit verschiedenen Chemikalien gekocht. Dadurch wird die Pollenwand braun gefärbt, das erleichtert ihre Bestimmung. Früher nutzten die Forscher dazu eine umgebaute Fritteuse, seit dem vergangenen Jahr passiert das in einem Ultraschallgerät.

Erst dann werden die verschiedenen Pollenkörner unter dem Mikroskop identifiziert und statistisch ausgewertet. Sogar an einer verbrannten Frauenleiche sicherte Weber noch Spuren. Denn von Pullover und T-Shirt waren noch Fetzen erhalten, in denen sich Pollen verfangen hatte. Welche genau, darf sie aber nicht verraten. Das Verfahren läuft noch.

Schuhspuren in Innenräumen

Lag der Fokus der Forschung zunächst auf Funden im Freien, befassen sich die Wissenschaftler seit rund drei Jahren auch mit Pollen in Innenräumen. In einem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt untersuchten sie das einzigartige Pollenspektrum von zwei Wiener Wohnungen: der ihres Dissertanten Philipp Nguyen und ihrer eigenen. „Wir wollten wissen, ob sich Spuren an Schuhen eindeutig einer Wohnung zuordnen lassen und wie lang sie erhalten bleiben.“ 70 Paare an Testschuhen verbrauchten die Forscher dabei.

Über die Ergebnisse will Weber allerdings noch nicht sprechen. Das hat jedoch weniger mit Polizei und Staatsanwaltschaft zu tun als mit der Wissenschaft: Die entsprechenden Publikationen sind noch nicht veröffentlicht.

AUF EINEN BLICK

Mehr Bilder:www.diepresse.com/pollen

Martina Weberstudierte Biologie und Haushalts- und Ernährungswissenschaften. Nach der Promotion über männliche Geschlechtszellen bei Blütenpflanzen war sie technische Assistentin in der Abteilung für Elektronenmikroskopie und Palynologie der Uni Wien. Durch Zufall lernte sie den neuseeländischen Forscher Dallas Mildenhall kennen. Von ihm und der Britin Patricia Wiltshire lernte sie das Handwerk der forensischen Palynologie. 1996 habilitierte sie sich in Botanik und Ultrastrukturforschung. [ Uni Wien]
Palynologie
ist die Wissenschaft von Pollen und Sporen. Etymologisch ist es die „Lehre vom ausgestreuten Staub“, hier dem Blütenstaub, wissenschaftlich „der“ Pollen.

Forensische Palynologie nutzt Pollen und Sporen, um Verbrechen aufzuklären. Pollenkörner sind zwar mikroskopisch klein, finden sich aber überall, zu jeder Jahreszeit und sind extrem widerstandsfähig. Durch ihre charakteristische Pollenwand lassen sie sich einer bestimmten Pflanzengattung, manchmal sogar der Pflanzenart, gut zuordnen. Das erlaubt bei Verbrechen etwa Rückschlüsse auf den Tatort oder den Zeitpunkt eines Verbrechens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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