Das heiße Blut des Hais

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Nicht alle Fische sind kalt wie die Fische, bei zwei großen Räubern gibt es Endothermie: Manche Haie heizen sich, manche Thunfische auch.

Ja, der Haifisch, der hat Zähne, und die haben einmal ein ganzes Weltbild zerbissen bzw. zu seinem Zusammenbruch beigetragen: Im Oktober 1666 ging Fischern vor Livorno etwas ins Netz, was sie noch nie gefangen hatten, ein Weißer Hai mit 1,2 Tonnen. Die Kunde drang nach Florenz, an den Hof der Medici, in deren Diensten stand auch der Däne Niels Stenson, er nannte sich Steno und war ein begnadeter Anatom. Zu ihm kam der Schädel des Hais, an den Zähnen fiel ihm etwas auf: Sie hatten exakt die gleiche Form wie Steine – Petroglossen gleich „Zungensteine“ –, die Hirten auf Bergen fanden und die oft als Arzneien und Amulette verwendet wurden. Steno sah genauer hin: Petroglossen sind Stein gewordene – fossilierte – Zähne von Haifischen.

Wie kamen die auf Berge? Es gab nur einen Weg: Die Berge waren früher keine, sie waren aufgestiegen aus dem Meer, die Erde bzw. ihre Haut war dynamisch und geschichtet, sie hatte Geschichte. Das war ein Schlag für den Schöpfungsglauben, der dem des Kopernikus vergleichbar war, Strabo galt in der Antike als „Anatom der Erde“, geriet aber bald in Vergessenheit, was blieb, ist sein Befund: Wo heute hohe Berge sind, war früher tiefes Meer

Meer, salziges Wasser, kein süßes, dorthin dringen Haie nicht vor, dort ist das andere Leben vor ihnen sicher. Denn Haie sind keine Fische wie die meisten der 30.000 übrigen Arten: Die stützen ihre Körper mit Knochen, Haie – und Rochen – tun es mit Knorpeln, aber diese Gewichtsreduzierung hilft nicht viel, sie sind insgesamt so schwer, dass sie nicht rasten können, sie müssen schwimmen, immer, sonst zieht es sie hinab. Denn ihnen fehlt zudem das Organ, das anderen Fischen Auftrieb verleiht, die luftgefüllte Schwimmblase. Als schwacher Ersatz dient Haien ihre sehr ölige Leber, die hilft im dichten Salzwasser, dort sind sie etwa hinter Lachsen her. In Flüsse folgen können sie ihnen nicht, sie sinken wie die Steine. Adrian Gleiss (Murdoch University) hat es gezeigt: Haie müssten im Süßwasser 50 Prozent mehr Energie aufbringen, die haben sie nicht (Journal of Experimental Biology 218, S.1099).

Dafür sind sie im salzigen Element so rasch unterwegs wie kaum andere, nur einer hält mit, der Thun. An dem bemerkte der britische Arzt John Davy 1835 Seltsames: Alle Fische sind so kalt, wie man es ihnen nachsagt – ein, zwei Grad über ihrer Umgebung –, aber Thunfische mancher Arten sind warm, der auf dem Seziertisch von Davis hatte zehn Grad mehr als das Wasser, aus dem er gezogen worden war. Später fand man das Gleiche bei manchen Haien: Auch sie sind endotherm, heizen sich. Dass beide das tun, ist umso erstaunlicher, als die einen Knochen- und die anderen Knorpelfische sind, die Linien trennten sich vor 400 Millionen Jahren, vor 40 bis 60 Millionen kam dann zweimal die gleiche Innovation.


Muskelpakete. Wozu? Haie und Thunfische sind große Räuber – vom Körper her, von der Beute her –, beide sind rasch. Ihre Form ist die gleiche, extrem stromlinienförmig, sie ähnelt einem Tränentropfen und heißt thunniform. Die sorgt mit für extreme Spitzengeschwindigkeiten von über 15 Metern pro Sekunde. Den Haien hilft auch ihre schlüpfrige Haut, aber bei ihnen wie den Thunfischen ist entscheidend, was darunter liegt bzw. vorgeht: Ihre Körper sind extrem dicht, deshalb sind sie so schwer, deshalb müssen auch Thunfische immer schwimmen. Und beide sind auch innen gleich: Fische haben zwei Muskeltypen, rote Fasern für das Dauerschwimmen, weiße für rasches Beschleunigen. Andere Fische haben wenige rote Muskeln, direkt unter der Haut, bei Hai- und Thunfischen sitzen dicke Packen tief im Inneren.

Im Inneren? Wie kommt die Kraft dann in die Flossen? Alle anderen Fische schwimmen mit dem ganzen Körper, ihre Bewegungen laufen wellenförmig durch sie hindurch, Haie und Thunfische sind starr, sie schwimmen nur mit den Flossen, für den Antrieb sorgt die am Schwanz, starke Sehnen bringen die Kraft dorthin.

Die muss dann nur noch irgendwo herkommen: Endothermie ist aufwendig, sie braucht viel Sauerstoff. Deshalb schwimmen Haie mit halb offenem Maul, das drückt mehr Wasser in die Kiemen, dort ist auch die Aufnahme des Sauerstoffs optimiert, transportiert wird er im Blut mit hohem Druck und viel Hämoglobin. Im Zentrum von allem sitzt natürlich die Pumpe, die hat es sogar in die Literatur geschafft: In „Das Herz des Hais“ imaginierte Ulrich Becher ein Haiherz, das diesem Jäger von noch wilderen Jägern – Menschen – herausgerissen wird, es schlägt und schlägt und schlägt. Die Jäger machen sich in ihrem Triumph darüber lustig und spielen Fußball damit, es schlägt weiter und weiter, wer es einmal gelesen hat, wird das Bild nicht wieder los.

Dabei ist ausgerechnet dieser Muskel bei Hai und Thun nicht warm, sie haben ihn anders optimiert, mit Ionenkanälen, die viel Kalzium in die Zellen bringen, das schlägt den Takt. Erkundet hat diese Mirakel vor allem Robert Shadwick (Vancouver). Er hat an lebenden Haien gemessen, in einer Art Windkanal, durch den Wasser strömte (zusammenfassend: American Scientist 93, S.524). Bleibt die Frage: Wozu der Aufwand? Es gibt zwei Hypothesen, die von der „thermalen Nische“ und die vom weiten Wandern. Die erste besagt, dass die Endothermie das Jagen in Gewässern mit unterschiedlichen Temperaturen ermöglicht, hoch oben, tief unten.

Das ist weithin bestätigt und gar nicht unverträglich mit der anderen Hypothese, die wurde bisher nur nicht getestet. Yuuki Watanabe (Tokio) hat es nun nachgeholt (Pnas, 20.4): Er hat die Literatur durchforstet und Haien Messgeräte umgehängt, Propeller, deren Drehung die Geschwindigkeit anzeigt: Haie und Thunfische sind 2,7-mal so schnell wie Fische mit kaltem Blut, und sie kommen damit 2,5-mal so weit, um die halbe Erde, immer dorthin, wo es gerade am meisten Futter gibt. So wandern sonst nur andere Warmblütige, Wale, Meeresschildkröten, manche Pinguine. „Endotherme Fische“, schließt Watanabe, „ähneln in vieler Hinsicht Säugetieren und Vögeln.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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