Die Geburt der Götter

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Schuf Mangel die Religionen, oder tat das der Überfluss? Und warum kamen Gebote? Es ist unklar, fest steht eines: Die Macht der Götter ist die ihres Blickes.

Ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“, ließ Jahwe durch Moses Mund donnern, so erhob er erst seinen Monopolanspruch, dann folgten die restlichen Gebote (5. Mose, 8). Damit war nicht nur der Monotheismus endgültig in der Welt – nach dem Vorspiel des Echnaton –, damit waren auch die moralisierenden Religionen da. Zuvor ging es in den Himmeln, bei Zeus und Odin etwa, nach Lust und Laune zu, Macht hatten diese Götter auch, Regeln erließen sie nicht. Zwar hielt auch Jahwe sich nicht an die seinen – „Du sollst nicht töten“? Sodom und Gomorrha! –, aber er und seine Stellvertreter auf Erden hatten doch bei den Ihren ein Auge darauf.

Wie kommt es zu solchen Religionen, wie kommt es überhaupt zu Religionen? Es gibt sie überall, der älteste Kultgegenstand soll ein schlangenförmiger Stein in einer Höhle von Botswana sein, der vor 70.000 Jahren so behauen wurde, dass er einer Schlange noch ähnlicher sah. Kurz zuvor war auf Sumatra der Vulkan Toba ausgebrochen, unter der Kälte seiner Aschewolke brach die Menschheit fast zusammen.

In ihrer Not schlossen sich Darbende enger zusammen, dabei half gemeinsamer Glaube, er förderte Kooperation und Opferbereitschaft, darin sah Matt Rossano (Southeastern Louisiana University) 2009 die Geburt der Religion (in Voland/Schiefelhövel, „The Biological Evolution of Religious Mind and Behavior“); im gleichen Jahr ortete Wissenschaftsjournalist Nicholas Wade einen „uralten Glaubensinstinkt“, der früh im Gehirn „verdrahtet war“, weil er beim Überleben half („The Faith Instinct: How Religion Evolved and Why it Endures“). Richard Dawkins schloss sich an, sie alle kleideten die klassische philosophische Religionskritik Ludwig Feuerbachs – „Nur im Elend der Menschen hat Gott seine Geburtsstätte“ – in ein evolutionstheoretisches Gewand. Am weitesten gehen Corey Fincher und Randy Thornhill (University of New Mexico), ihnen ist bei der regionalen Verteilung der Religionen etwas aufgefallen: Brasilien und Kanada sind von der Größe her vergleichbar, die Elfenbeinküste und Norwegen sind es auch.

Aber Brasilien hat 159 Religionen, Kanada 15, die Elfenbeinküste hat 76, Norwegen 13. Wie das? Im Süden grassieren Krankheiten, ansteckende, da ist es ratsam, in kleinen Gruppen zu leben, die sich abschotten: „Im tiefsten Grund mag Religion der Vermeidung von Infektionskrankheiten dienen“ (Proc. Roy. Soc. B 275, S.2587). Das ist arg nackter Biologismus, hat aber die Pointe, dass die Götter ihre Existenz den Teufeln zu verdanken haben.


Götter sind teuer. Gerade umgekehrt wie die Evolutionsbiologen sieht es Nicolas Baumard (Paris): Für ihn kommen die Götter nicht aus Mangel, sondern aus Überfluss. Man muss sie sich leisten können, sie wollen Opfer und Kulte, die Gesellschaften müssen Mitglieder freistellen, Priester. Reich genug wurden sie in der vom Philosophen Karl Jaspers sogenannten „Achsenzeit“, dort knüpft Baumard an: Für Jaspers gab es von 800 bis 200 v. Chr. in vielen Regionen so große Fortschritte, dass er eine „Achse der Weltgeschichte“ sah, in der sich „der Mensch, wie wir ihn heute sehen“, entwickelte.

Nun kamen Glaubenssysteme, die über die Nöte des Alltags hinaus sahen, ihre Mitglieder zu Moral und Zurückhaltung beim Materiellen anhielten, zu Askese und Fasten, auch zu Mitgefühl und Barmherzigkeit: In China der Konfuzianismus, in Indien der Buddhismus, in Griechenland Philosophenschulen wie die der Stoa. Woher die Parallelentwicklung? Viele bringen sie mit dem Wachstum von Gesellschaften bzw. ihrem Organisationsbedarf in Verbindung, Baumann vermutet einen anderen Hintergrund: Reichtum. In diesen Gesellschaften war ein Schwellenwert überschritten, Baumard fasst ihn in Kalorien – 20.000 Kilokalorien pro Kopf und Tag –, darin steckt alles, nicht nur das Essen, auch das Dach über dem Kopf (Current Biology 25, S.10).

Reiche verpflichten sich zu Askese? Baumard selbst macht auf das Problem aufmerksam, und die Mehrheit der Sozialforscher setzt ohnehin auf die Komplexität der Gesellschaft. Aber war zuerst die Henne oder das Ei? Im Vorjahr verfocht Ara Norenzaya (Vancouver) die Idee, moralisierende Religionen seien vor komplexen Gesellschaften gekommen bzw. hätten sie erst ermöglicht („Big Gods: How Religion transformed Cooperation and Conflict“). Aber nun fand Joseph Watts (Auckland) in Austronesien das gerade Gegenteil: Er ist 96 Kulturen – von den Philippinen bis zur Osterinsel – nachgegangen, nur sechs hatten vor der sozialen Komplexität moralisierende Religionen, in den anderen straften die Götter zunächst ohne Gesetzbuch, das kam erst später (Proc. Roy. Soc. B, 4.3.).

Der Widerspruch mag sich mit Carlos Botero (North Carolina State University) lösen, der die Erde auf Umweltbedingungen und Gottheiten durchforstet hat: Wo die Natur freigiebig ist, und Jäger und Sammler nur zugreifen müssen, gibt es keine Gesetze von oben. Aber wo man dem Boden mühsam etwas abgewinnen muss und launischer Natur ausgesetzt ist, werden Tafeln aufgestellt: (Pnas 47, S.16784): „Die Wahrscheinlichkeit moralisierender Götter wächst dort, wo die Umwelt variabler und weniger vorhersehbar ist“, schließt Botero und verweist auf eine frappante Parallele: Seine Weltkarte der moralisierenden Götter deckt sich fast mit einer, auf der das Brutverhalten von Vögeln verzeichnet ist: Auch die rücken in rauer Umwelt zusammen, dort kommen zum Brüten halbwüchsige Helfer.

Religion haben die Vögel natürlich nicht, aber viele ziehen ihre Macht aus der gleichen Quelle wie die Götter, wenigstens so viel ist gewiss: Das Geheimnis der Überirdischen ist der überwachende Blick, sie sehen alles, seien es die Totempfähle der Indianer mit ihren vielen Augen, sei es der Gott, der durch ein Auge in einem Dreieck symbolisiert wird. Die Natur kennt Ähnliches, etwa bei Vögeln, die einander gut im Auge behalten – und mit besonderen Zeichnungen um die Augen herum dafür sorgen, dass andere nicht sehen, wohin sie schauen, wen sie gerade überwachen. So suggerieren sie Allgegenwart.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2015)

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