Mythos vom menschlicheren Krieg

Gesprengte Berge - getrennte Herzen. Der 1. Weltkrieg in den Dolomiten
Gesprengte Berge - getrennte Herzen. Der 1. Weltkrieg in den Dolomiten(c) ORF
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Geschichte. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Forschung zur Italien-Front im Ersten Weltkrieg eine Explosion der Themenvielfalt und eine Demontage von Mythen erfahren.

Am 23. Mai jährt sich zum 100. Mal der Tag, an dem Italien der Habsburgermonarchie den Krieg erklärt hat. Lang stand der Erste Weltkrieg im Schatten des Zweiten und die sogenannte Südwestfront, jene gegen Italien, war sowieso ein Nebenschauplatz. In den vergangenen 20 Jahren hat sich hier allerdings in der Forschung – oft unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – viel getan. Gunda Barth-Scalmani und Hermann Kuprian vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Uni Innsbruck haben sich auf diesen Krieg gegen Italien spezialisiert, gemeinsam mit Kollegen in Österreich und Italien.

Hermann Kuprian berichtet über die Fortschritte, die in Jahren intensiver Forschung gemacht wurden: „Am Beginn gab es viele weiße Flecken. Aber die Forschung hat sich wesentlich intensiviert. Es hat ein Abrücken von der Diplomatie- und Feldzugsgeschichte stattgefunden, hin zur Bevölkerung im Hinterland, zum Schicksal von Soldaten, Frauen, Kindern, der Sanitätsversorgung, den Deportationen.“ Diese „totale thematische Erweiterung“ sei in der internationalen Weltkriegsgeschichte schon länger zu beobachten gewesen, habe sich aber nur langsam in Österreich bemerkbar gemacht und sei bisher auch nur partiell angekommen, weiß Gunda Barth-Scalmani: „In anderen Bundesländern außer Tirol gibt es das nicht so sehr.“

Waren die Habsburger ungeschlagen?

Ein Grund, warum die Universität Innsbruck hier recht weit ist, liegt in der Zusammenarbeit mit Institutionen im Trentino und in Südtirol. Speziell in Trient war man den Kollegen nördlich des Brenners hier viele Jahre um einen Schritt voraus. Den Rückstand hat man inzwischen aber aufgeholt.

Wesentliches Thema ist aber nicht nur die Geschichte des Ersten Weltkrieges in Tirol, Kärnten, Slowenien, im Trentino und in Venetien, sondern auch die Frage, wie er später dargestellt und überliefert wurde.

Ursprünglich, so Kuprian, habe es eine reine „Offiziersgeschichtsschreibung“ gegeben. Offiziere hätten naturgemäß ein Schwergewicht auf militärische Ereignisse gelegt, den Krieg heroisiert und nicht zuletzt den Mythos vom Habsburger-Heer, das gegen Italien „im Felde ungeschlagen“ gewesen sei, aus der Taufe gehoben.

„Es hat in den vergangenen Jahren eine Dekonstruktion dieser Mythen stattgefunden. Es geht heute nicht mehr in erster Linie um das soldatische Schicksal im Schützengraben und die Großtaten im Gebirge. Und auch auf italienischer Seite wird der Erste Weltkrieg heute nicht mehr als krönender Abschluss der Staatswerdung gesehen“, sagt Kuprian. Eine Auseinandersetzung von Traditionsverbänden und Schützen, bei denen diese Mythen bis heute bewusst gepflegt werden, mit dieser „neuen“ Geschichte, hat noch nicht stattgefunden. Und sie verspricht spannend zu werden, meint Barth-Scalmani: „Vom Bauchgefühl her würde ich sagen, dass man zwei Sichten stehen lassen wird. Widerstand würde ich nicht vermuten. Von daher kann man wirklich sagen, dass der Erste Weltkrieg historisiert ist.“ Dass es ganz so friktionsfrei nicht gehen wird, beweisen allerdings jüngste Auseinandersetzungen in Südtirol.

Dort hatten Schützen Metallkreuze weihen lassen, um an die Standschützen, die „Bürgermiliz“, wie sie sie nennen, zu erinnern. Die Kreuze sollten entlang der ehemaligen Front aufgestellt werden. So mancher Bürgermeister verweigerte allerdings die Genehmigung, weil ihm die Heroisierung und einseitige Sichtweise missfiel.

Was verhinderte den Erfolg im Osten?

Verändert hat sich aber nicht nur die Konzentration auf die Themen, sondern auch die Gewichtung der Kriegsschauplätze. Lange Jahre war die angelsächsische Geschichtsschreibung dominant und für diese existierten in erster Linie die Westfront, vielleicht noch die Kämpfe der Briten, Australier und Neuseeländer gegen das Osmanische Reich. Die Ostfront war schon vergleichsweise uninteressant und die Kriegsschauplätze auf dem Balkan und in Südtirol waren praktisch nicht existent.

Kuprian: „Die Südwestfront war immer eine Nebenfront im globalen Geschehen. Das wird jetzt aber immer mehr transnational gesehen. Vor allem der Kriegseintritt Italiens gewinnt an Bedeutung, weil damit ein Erfolg der Deutschen und Österreicher an der Ostfront verhindert worden ist.“ Allerdings schränkt Barth-Scalmani etwas ein: „Mainstream- und Hobby-Historiker akzeptieren das aber immer noch nicht.“

LEXIKON

Offiziersgeschichtsschreibung: Oft schon während des noch andauernden Ersten Weltkrieges begannen Offiziere, Regimentschroniken zu den Kämpfen an den Fronten zu verfassen. Nach der Niederlage wurde daraus oft auch eine Rechtfertigungsgeschichtsschreibung, in der man erläuterte, warum man zwar heldenhaft gekämpft, aber dennoch den Krieg verloren hatte. Dabei entstand der Mythos, die Habsburger-Armee sei gegen Italien zwar unbesiegt geblieben, die Diplomatie habe aber zur Niederlage geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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