Fluch und Segen für Tourismus

Gebirge. Der Erste Weltkrieg und der Tourismus im Alpenbogen zwischen Schweiz und Adria traten in eine erstaunliche Wechselwirkung.

Die eifrige Forschung zum Ersten Weltkrieg gegen Italien schlägt sich auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen nieder. Darunter findet sich auch ein Titel, den man in diesem Zusammenhang nicht unbedingt vermuten möchte: Krieg und Tourismus im Spannungsfeld des Ersten Weltkriegs. Das Buch ist gewissermaßen der Tagungsband einer Konferenz des Südtiroler Landesmuseums für Tourismus, Touriseum, in Meran. Herausgegeben von Patrick Gasser, Andrea Leonardi und Gunda Barth-Scalmani beschäftigt er sich mit der Wechselwirkung zwischen dem Krieg und dem Tourismus im betroffenen Alpenraum.

Der Erste Weltkrieg unterbrach jäh den aufkeimenden Tourismus in den Alpen an der Grenze zwischen dem Königreich Italien und der Habsburger Monarchie. Die vorhandene touristische Infrastruktur wurde oftmals zerstört, oder Soldaten und Offiziere nutzten die Gasthäuser als Unterkünfte, das Hotelpersonal zog auf der einen oder anderen Seite in den Krieg. Aus noblen Grand Hotels der Jahrhundertwende wurden auch weit hinter der Front noch Reservespitäler.

Nach dem Ende des Kriegs hatte sich die politische Landkarte völlig verändert, der Vielvölkerstaat war zerbrochen, die gewohnte Sommerfrische in Meran oder am Bled-See in Slowenien fand nicht mehr statt. Dennoch erholte sich der Tourismus erstaunlich rasch. Dieses Mal fand umgekehrt eine Nutzung früherer militärischer Infrastruktur statt: Die ehemaligen Feldbahnen in den Dolomiten wurden zum Fortbewegungsmittel der Wahl.

Krieg als Alleinstellungsmerkmal

Lang nur von Hobbyarchäologen und Historikern betrieben wurde hingegen die Wiederherstellung von ehemaligen Stellungen, Schützengräben und Forts nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst spät entdeckte der Tourismus die Anziehungskraft des ehemaligen Kriegsschauplatzes und das Alleinstellungsmerkmal Frontgebiet dieser Berge gegenüber anderen alpinen Destinationen.

Während allerdings auf Ebene der Historiker und der Gäste die Grenzen zwischen Österreich, Slowenien und Italien längst überwunden worden sind, so stellt in diesem Tagungsband Gabriele Crepaz fest, dass sie bei den Tourismusverbänden bestehen geblieben seien. Und – hier schließt sich der Kreis – oftmals würden die Tourismusverantwortlichen den Mythos vom heldenhaften, menschlicheren Gebirgskrieg, der an anderer Stelle mühevoll demontiert wurde, weiter aufrechterhalten und tradieren. (us)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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