Sich verbergen? Verduften!

Oxymonacanthus longirostris, Clam Gardens, Ribbon Reefs, Great Barrier Reef
Oxymonacanthus longirostris, Clam Gardens, Ribbon Reefs, Great Barrier Reef(c) Richard Ling/Wikipedia
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Vor den Blicken von Räubern oder Beute schützt ein breites Spektrum an Camouflage. Aber Augen sind nicht alles, gejagt wird vor allem mit der Nase.

„Das haben wir erfunden“, rühmte sich Picasso im Ersten Weltkrieg angesichts eines riesigen Tuchs mit kubistischem Muster mitten in Paris, es verhüllte eine Kanone, sollte sie den Blicken deutscher Flieger entziehen. Das Werk stammte von einem Künstler, der Auftrag von der 1915 vom Militär gegründeten Section de Camouflage. Andere zogen nach: Er habe gerade „sieben Kandinskis“ gemalt, berichtete Franz Marc aus einer Scheune nahe der Front, sie war sein Atelier. Und die USA ließen die halbe Flotte mit wunderlichsten Mustern streichen, die Admiralität tobte – es sähe aus wie „eine Herde von Ostereiern, die in See stechen“ –, Picasso jedoch wollte auch Soldaten so kleiden: „Hell leuchtende Farben, ein bisschen Grün, Rot, Gelb, Weiß, wie ein Harlekin.“

So beschrieb er es in einem Brief an Apollinaire, aber die Ehre für solches Narren der Augen gebührte nicht den Kubisten, sondern dem US-Amerikaner Albert Thayer, er war eine Doppelbegabung, Maler (realistisch) und Biologe. Und ihm stach die Zeichnung mancher Tiere ins Auge – Zebras etwa oder Tiger –, die die Körpergrenzen verschwimmen lässt, man sieht die Gestalt kaum mehr, auch Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung werden unklar. Diese Tarnung wurde „razzle dazzle“ genannt – Tumult, Durcheinander –, sie ist optisch höchst auffällig, hat „high difference“ zu ihrer Umgebung.

Früher identifizierte Camouflagen setzten auf das genaue Gegenteil, „high similarity“. Da wird mit Tarnkappen gearbeitet, die entweder an den Hintergrund angleichen – bisweilen höchst flexibel, Chamäleons und Kraken wechseln blitzschnell Farben und Muster – oder an andere Lebewesen. So können Gefährdete sich in Gewänder von Gefährlichen oder Ungenießbaren hüllen, harmlose Schwebfliegen sehen dann aus wie Wespen. Das Prinzip entdeckte Walter Bates 1862 an Schmetterlingen in Amazonien. Es wurde nach ihm benannt: „Bates'sche Mimikry“.

Die findet sich in immer neuen Varianten mit immer neuen Finessen: Wieder in Amazonien ist Gustavo Londoño (University of California) ein bodenbrütender Vogel aufgefallen, Laniocera hypopyrra. Das Federkleid der Jungen ähnelt nicht nur frappant dem Pelz einer Raupe, um die jeder Räuber einen Bogen macht, die Jungen imitieren auch Raupenbewegungen (American Naturalist, 1/2015). In einem anderen Regenwald, dem von Borneo, hat Danielle Klomp (University of Melbourne) Blätter von den Bäumen fallen sehen, die gar keine Blätter waren, sondern kleine Echsen mit Flughäuten, sie segeln auch so wie Blätter (Biology Letters 20140776).

Andere verstecken sich nicht, im Gegenteil, sie signalisieren Bedrohliches: Viele Schmetterlinge haben Muster auf den Flügeln, die aussehen wie Augen, Augen von Raubvögeln. Schrecken sie damit die Vögel ab, die hinter ihnen her sind? Der Streit ist lang und bitter, die jüngsten Experimente, durchgeführt von Sebastiano de Bona (University of Jyvaskyla), unterstützen den Verdacht (Proc. Roy. Soc. B, 7.4.).

Farbspiel. Das alles ist nicht nur in den Lüften so, und auch nicht nur bei potenzieller Beute: An Korallenriffen im Pazifik haust ein kleiner Fisch, dessen Name schon auf sein Talent verweist – Pseudochromis fuscus –, er ist hinter anderen Fischen her, verschiedenen Arten von Pomacentrus, die tarnen sich je nach Riff mit einer anderen Farbe, sind entweder hellgelb oder dunkelbraun, ihr Leben lang. Das kann kurz sein, denn der Räuber legt die gleichen Kleider an. Er beherrscht eine breite Palette, von Pink bis Grau, aber wenn er an ein Riff kommt, wo die von ihm gesuchte Beute dunkelbraun ist, hat er nach zwei Wochen diese Farbe, nun sieht er aus wie einer der anderen, vor allem in den Augen der unerfahrenen Jungen.

Das beschert dem Räuber reiche Beute – und hat den Zusatzeffekt, dass die Farbe ihn selbst vor dem Blick eines anderen Räubers verbirgt, vor dem des Zackenbarschs. Zum Schutz vor ihm hat Pomacentrus sich eingefärbt, Pseudochromis profitiert mit, Fabio Cortesi (Basel) hat es experimentell gezeigt (Current Biology 25, S.949). „Das ist das erste Mal, dass ein Tier gefunden wurde, das fähig ist, eine Verkleidung anzulegen, mit der verschiedene Arten getäuscht werden“, schließt Cortesis Kollege William Feeney (Brisbane): „Der Fisch ist ziemlich ausgefuchst.“

Aber so staunenswert das alles ist, es ist wohl nur der kleinere Teil des Tarnens und Täuschens: Wieder an Korallen lebt ein Fisch, den Picasso erfunden haben könnte, Oxymonacanthus longirostris, er heißt auch Harlekinfisch, so bunt ist er herausgeputzt. Ob das wirklich „razzle dazzle“ ist oder doch Krypsis – Anpassung an den Hintergrund auch bunter Korallen –, ist nicht ganz klar. Noch unklarer ist allerdings, wie viel der ganze optische Zauber hilft, auf ihn starren vor allem Menschen.

Denn wir sind Augentiere. Bei Fischen und in der restlichen Tierwelt ist etwas ganz anderes primär, der Geruch – als Signal und Wahrnehmung –, ihn hat die Forschung bisher eher übersehen. Am Harlekinfisch ist er Rohan Brooker (James Cook University) nun aufgefallen: Der Fisch knabbert den Tag über an Korallen, er ernährt sich von ihnen, in der Nacht sucht er zwischen ihren Ästen Zuflucht. Und dort finden ihn Räuber nicht, weil er mit der Nahrung auch den Duft der Korallen aufgenommen hat und nun selbst trägt (Proc. Roy. Soc. B 282:20141887).

Ähnliches kennt man schon von manchen Raupen, auch die nähen doppelt, tarnen sich optisch so, als seien sie Ästchen der Bäume, an denen sie nagen. Und nagen eben, damit nehmen sie auch den Geruch der Pflanzen auf. Wenn dann ihre ärgsten Feinde kommen, Ameisen, marschieren sie einfach über die Beute hinweg. Setzt man die jedoch auf einen anderen Baum, sind der Schutz und das Leben dahin. Ähnliches kennt man auch bei bodenbrütenden Vögeln: Sie stellen das Wachs, mit dem sie sich putzen, während des Brütens um, es duftet dann weniger. Aber es läuft bei ihnen nicht über die Nahrung, das ist das Neue am Harlekinfisch: Sein Fund ist „die erste Evidenz für eine diätinduzierte chemische Krypsis in einem Wirbeltier“, schließt Brooker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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