Alzheimer, Preis der Intelligenz

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Gene, die bei der Entwicklung des Gehirns des Homo sapiens halfen, sind die gleichen, die hinter der Alterskrankheit vermutet werden.

Was Menschen einzigartig macht, ist gar nicht so leicht zu definieren, viele der alten Abgrenzungen sind erodiert: Auch Tiere verwenden Werkzeuge, manche produzieren sie gar; auch Tiere kommunizieren in breiter Vielfalt, oder sie singen einfach drauf los wie derzeit die Vögel; auch Tiere können sich in andere einfühlen, ihnen in der Not helfen, sie übers Ohr hauen, Beispiele gibt es genug.

Aber ein Privileg hat der Mensch, ein ganz und gar Unerwünschtes: Nur Menschen können an Alzheimer erkranken, selbst bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, ist dieser Verfall des Gehirns unbekannt. Zwar bilden sich auch bei ihnen ab dem Alter von 40 die Ablagerungen im Gehirn – Amyloide Plaques –, die sich bei alzheimerkranken Menschen zeigen, aber das Verhalten wird nicht beeinträchtigt. Und es ist ohnehin nicht klar, welche Rolle die Plaques spielen – Ursache, Wirkung, Korrelat? –, man weiß nicht, woher Alzheimer kommt, man hat ein paar Gene im Verdacht.

Aber da das Leiden eben nur Menschen befällt, hat Kun Tang (Shanghai Institutes for Biological Sciences), tief in den Genomen heutiger Menschen gegraben, er wollte herausfinden, welche Gene sich änderten, als unsere Ahnen sich änderten, Homo sapienswurden, vor etwa 200.000 Jahren, und was sich später noch änderte.

Das ist technisch schwierig, weil Effekte der Populationsgröße von denen positiver Selektion unterschieden werden müssen, Kun ist das bis zurück vor 500.000 Jahren gelungen, es ist technisch eine Revolution. Inhaltlich vielleicht auch: In der Zeit von vor 200.000 bis vor 50.000 Jahren hat die positive Selektion an sechs Genen im Gehirn angesetzt, deren neue Varianten haben für bessere Verbindung zwischen Neuronen gesorgt. Und diese Gene gehören zu jenen, die bei Alzheimer unter Verdacht stehen: Kun vermutet, dass die Krankheit der Preis der höheren Intelligenz ist (Naturenews, 21.5.).

Ähnlicher Verdacht bei Autismus

Einen ähnlichen Verdacht hegte Nenad Sestan 2012 schon bei einem anderen Hirnleiden, das nur Menschen befällt: Autismus (Cell 149, S.899). Aber dabei ging es um die frühe Entwicklung des Gehirns. Bei Kun geht es darum, dass manche alternde Gehirne irgendwann die Energie nicht mehr aufbringen können, die die sechs genetischen Innovationen für ihre Arbeit brauchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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