Hirnforschung: Vergessenes beleben, Vorurteile ausradieren?

Stereotypen im Schlaf brechen?
Stereotypen im Schlaf brechen?(c) Clemens Fabry
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Mit der Manipulation einzelner Nervenzellen kann man zurückholen, was dem Gedächtnis verloren gegangen ist. Umgekehrt geht es noch leichter: Die Macht von Stereotypen lässt sich brechen, im Schlaf.

Vorurteile halten sich hartnäckig, etwa die von Männern über Frauen, oder die von Menschen der einen Hautfarbe über die mit einer anderen. Und das hat Konsequenzen: Weiße (und auch Schwarze) schießen viel eher auf Schwarze als auf Weiße, auch wenn die Schwarzen überhaupt keine Waffe in der Hand haben. Das hat sich früher schon in Psychologenlabors gezeigt, in denen Testpersonen in Videospielen gegeneinander antraten – und dabei in Rollen von Weißen und Schwarzen schlüpften –, es klingt inzwischen auch aus den täglichen TV-Nachrichten leidig vertraut.

Kann man dieses Verhalten zügeln bzw. kann man die hinter ihnen stehenden Stereotypen entmachten? Xiaoping Hu (Northwestern University) hat einen so überraschenden wie simplen Weg gefunden: Man kann die Vorurteile wegschlafen. Das hängt damit zusammen, dass Erinnerungen im Schlaf verstärkt werden. Dafür sorgen besondere Zellen, „memory engram cells“, das hat ein anderer Forscher, Susumu Tonegawa (Howard Hughes Medical Institute), nun gezeigt, an Mäusen: Hirnzellen kann man optogenetisch aktivieren. Dabei werden sie mit zusätzlichen Proteinen ausgestattet, die unter besonderem Licht die Zellen aktivieren, sie Proteine produzieren lassen.

Das hat Tonegawa getan, dadurch wurden die Synapsen – die Verbindungen zwischen Nervenzellen – gestärkt und die Erinnerung verfestigt. Im zweiten Schritt hat Tonegawa umgekehrt die Bildung von Erinnerung unterbunden, mit einem Medikament, das Zellen daran hindert, Proteine zu bilden: Die Mäuse erinnerten sich nicht daran, was sie eben erlebt hatten. Aber tags darauf erinnerten sie sich wieder, als Tonegawa die Zellen optogenetisch aktivierte. Er hofft nun, dass Derartiges auch Menschen helfen kann, die ihr Gedächtnis verloren haben, durch Alzheimer oder Trauma (Science 348, S. 1007).

Um das gerade Gegenteil geht es Hu, er will etwas ausradieren. Dazu dringt er auch nicht in die molekularen Details vor, er nutzt einfach den Umstand, dass Erinnerungen im Schlaf verfestigt werden, man kann es sogar beeinflussen. Dazu muss man nur Testpersonen etwas erleben lassen und ihnen zugleich einen bestimmten Ton vorspielen. Kommt der dann auch im Schlaf, wird die mit ihm assoziierte Erinnerung gestärkt.

Nun brauchte Hu nur noch Testpersonen mit Vorurteilen: Denen, die Frauen automatisch die Fähigkeit des wissenschaftlichen Denkens absprechen, zeigte er das Gegenteil: Frauen und wissenschaftliche Fachtermini, zugleich erklang ein Ton. Dann hielten die Probanden 90 Minuten Schlaf, dabei hörten sie den Ton, beim Erwachen hatte sich das Vorurteil verflüchtigt. Ganz ähnlich ging es bei der Einschätzung von Schwarzen durch Weiße (Science 348, S.1013).

Hu hofft, dass sein Mirakel auch bei „Unsitten wie Rauchen, ungesundem Essen oder Selbstsucht“ wirkt, ein Begleitkommentar mahnt allerdings unter Verweis auf Huxleys „Brave New World“ zu höchster Vorsicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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