Einsteins Effekt: Die Schwerkraft rettet Schrödingers Katze

SCHR�DINGERS KATZE - FOTOGRAFIERT MIT SPUKHAFTER FERNWIRKUNG
SCHR�DINGERS KATZE - FOTOGRAFIERT MIT SPUKHAFTER FERNWIRKUNG(c) APA/IQOQI (IQOQI)
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Ein (auch) an der Uni Wien lokalisiertes Team konnte zeigen: Die Zeitdilatation, ein Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie, kann die Überlagerung von Wellenfunktionen zerstören.

Zu den Seltsamkeiten der Quantenphysik zählt die Überlagerung, meist Superposition genannt: Ein Quantenteilchen kann in einer Überlagerung mehrerer Zustände sein. Das hat damit zu tun, dass in der Quantenwelt jedes Teilchen auch als Welle betrachtet werden kann, und von Wellen kennt man solche Überlagerungen ja.

Von größeren Stücken Materie nicht. Erwin Schrödinger, der Mann aus Wien-Erdberg, der den heute noch verwendeten Formalismus der Quantentheorie entwickelte, erfand 1935 das längst in die schöne Literatur eingegangene Paradoxon „Schrödingers Katze“: Ein Katze ist in eine Kiste eingesperrt, mit einem radioaktiven Atom, dessen Zustand wir – da wir nicht wissen, ob es schon zerfallen ist oder nicht – als Überlagerung aus „zerfallen“ und „nicht zerfallen“ beschreiben müssen. Wenn es zerfällt, löst das einen Mechanismus aus, der die Katze unweigerlich umbringt. Müssen wir deren Zustand dann nicht als Überlagerung von lebendig und tot beschreiben?

Wo ist die Grenze zur „großen Welt“?

Das wollen wir lieber nicht. Aber warum soll das nicht gehen? Wie groß kann ein Objekt sein, um es noch als Überlagerung von Zuständen zu beschreiben? Wo ist die Grenze zwischen Quantenwelt und Alltagswelt? Gibt es überhaupt eine solche Grenze?

Wiener Quantenphysiker untersuchen das seit Langem experimentell: Sie schauen sich an, wie groß Moleküle sein können, die sich noch wie eine Welle verhalten und etwa an zwei Orten zugleich sein können. Bei einem aus 60 Atomen bestehenden Fußballmolekül hat es schon funktioniert, auch bei noch größeren Molekülen, etwa einem, das die Forscher „Quantenoktopus“ nennen.

Bei solchen Experimenten muss man vorsichtig sein. Denn Überlagerungen von Wellen sind störungsanfällig, neigen zum Zerfallen, zur Dekohärenz. Man kann das obige Problem also auch so formulieren: Was bringt ein Quantensystem zur Dekohärenz – und damit dazu, sich ganz alltäglich zu verhalten?

Die Umwelt natürlich. Die thermische Bewegung, das Zittern der Teilchen. (Darum arbeiten so viele Quantenphysiker bei sehr tiefen Temperaturen.) Physiker um Caslav Brukner am Wiener Institute for Quantum Optics and Quantum Information (IQOQI) konnten nun in einer theoretischen Arbeit (Nature Physics, 15.6.) zeigen: Dieses Zittern wird durch einen Effekt aus der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) beeinflusst, durch die gravitative Zeitdilatation. Diese besteht darin, dass die Zeit in der Nähe von massiven Objekten langsamer vergeht. Der Effekt ist sehr gering – Piloten altern deshalb nicht merklich schneller –, aber er reicht, wie Brukner und Co. berechneten, aus, um ein Molekül aus dem Zustand der Überlagerung zu reißen.

Das ist für Physiker ziemlich aufregend: Die eine der beiden revolutionären physikalischen Theorien des 20.Jahrhunderts, die ART, rettet Objekte vor der anderen, vor der Quantentheorie! Noch dazu im Jubiläumsjahr der ART, die 1915 von Einstein präsentiert wurde. Vorausgesagt hat einen solchen Zusammenhang u.a. der theoretische Physiker Roger Penrose: 1997 berichtete „Die Presse“ über seine einschlägige Vermutung unter dem Titel „Rettet die Schwerkraft Schrödingers Katze?“. Heute kann man sagen: Sieht ganz so aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2015)

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