Technikfolgen: „Einen Newsletter aus der Zukunft bekommen“

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In der gesellschaftlichen Entwicklung gibt es immer Gewinner und Verlierer. Daher gelte es, nicht nur die Wirkung neuer Technologien abzuschätzen, sondern diese auch bewusst zu gestalten, sagt Humanökologin Ulrike Bechtold.

Die Presse: Wo sehen Sie die großen Themen für das Jahr 2048?

Ulrike Bechtold: Die Zukunft ist ein großes Thema, das die Menschen bewegt, seit Zukunft als gestaltbar wahrgenommen wird. In der Technikfolgenabschätzung geht es aber weniger um konkrete Prognosen, wir untersuchen, wo es positive und negative Aspekte gibt. Die großen Herausforderungen, die die EU definiert hat, werden aber sicher eine Rolle spielen: also etwa der Klimawandel, Gesundheit, Mobilität, Energie und Ernährungssicherheit.


Was ist die Basis für diese Szenarien, wo setzen Sie an?

Wir stellen die Frage: Wie wird Zukunft gemacht? Zukunft passiert nicht einfach, sie ist bis zu einem gewissen Grad immer auch Projektion der Gegenwart. Das heißt freilich aber auch, dass es viele unvorhersehbare Wirkungsfelder gibt.


Wie schaut man in der Technikfolgenabschätzung also konkret in die Zukunft?

Das hängt vom Zeitraum ab. Wenn wir in solche Weiten wie ins Jahr 2048 schauen, tun wir das mit Visionen. Wir versuchen etwa mit der Civisti-Methode („Civil Visions for Science and Technology“, Anm.), mit Bürgern – also Laien – offen über ein Thema zu diskutieren. Im kreativen Prozess entwickeln wir diese Visionen für eine wünschenswerte Zukunft. Das Ergebnis wird von Experten beurteilt und wieder zurückgespielt: ein Newsletter aus der Zukunft, der wieder an die Bürger geht. Am Ende hat man Visionen und Empfehlungen, die für Bürger und Experten stimmen. Wir leiten daraus Empfehlungen für die Politik oder die Forschungspolitik ab.


Aber kann es überhaupt ein objektives Bild von der Zukunft geben?

Das Bild von der Zukunft beruht stark auf unseren Annahmen und Werthaltungen. Wir sind sehr vorsichtig mit Prognosen und sagen nicht: 2048 sieht es so oder so aus. Wir sehen uns an, was Entwicklungen für die Menschen bedeuten könnten. Etwa In-vitro-Fleisch oder Big Data. Wir untersuchen aus der Sicht verschiedener Disziplinen, welche Facetten wichtig sind und wer Sieger und wer Gewinner ist. Es geht darum darzustellen, wie möglichst breite gesellschaftliche Schichten profitieren können.


Was wird die Menschen 2048 bewegen?

Ganz bestimmt der demografische Wandel. Weniger im Sinne eines Schreckensszenarios, sondern mit all seiner Dynamik. Wir fragen: Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Welche Rolle wird Technologie für junge und alte Menschen spielen? Wie entwickeln sich Städte, wie können sie smarter werden?


Was wäre ein Bedrohungsszenario?

Zum Beispiel ein digitaler Stillstand – der langfristige und großflächige Ausfall digitaler Infrastrukturen. Es gibt eine Reihe von Ursachen für einen solchen Ausfall: militärische Auseinandersetzungen, Sonnenstürme oder auch lokale Katastrophen. Es geht darum, durchzudenken, was das für die Gesellschaft bedeutet: für die Mobilität, für produzierende Betriebe, aber auch für die Lebensmittelversorgung oder Rettungsinfrastruktur. Wie funktionieren diese Systeme, wenn die Kommunikation völlig lahmgelegt ist?


Apropos Kommunikation: Wie sehen Sie das Thema Datenschutz?

Als wesentliches Grundrecht für unsere Demokratie. Es geht darum, wie die Privatsphäre der Nutzer geschützt werden kann, ohne auf technische Neuerungen verzichten zu müssen? Wie lassen sich privatsphärenfördernde Technologien gestalten?


Ist Big Data in der Lage, die Fragen von morgen zu beantworten?

Das bezweifle ich, auch wenn dies manchmal bis zu einem gewissen Grad so kommuniziert wird. Ich glaube eher, dass wir hier als Gesellschaft sehr kritisch hinterfragen müssen, was wirklich förderlich und gut ist. Für wen ist ein finanzieller Treiber dahinter oder dominiert der Gemeinwohlaspekt? Big Data hat gute und schlechte Seiten – wie gehen wir damit um? Technikfolgenabschätzung fragt immer nach Vor- und Nachteilen für unterschiedliche Gruppen. Man muss Technologie möglichst so gestalten, dass möglichst wenig unerwünschte Nebenwirkungen entstehen. Das sogenannte Collingridge-Dilemma ist hier ein wichtiger Ausgangspunkt: In der Frühphase der Technologieentwicklung ist das Gestaltungspotenzial groß, man kann aber noch wenig über mögliche Folgen sagen; je weiter die Entwicklung fortgeschritten ist, je mehr man darüber sagen kann, desto geringer werden die Gestaltungsmöglichkeiten.


Was sehen Sie als große Gefahr?

Dass wir es als Gesellschaft nicht schaffen, wünschenswerte Zukunftsvisionen zu identifizieren und auch etwas dafür zu tun. Dass wir eine ideenlose Gesellschaft werden, die von Sachzwängen getrieben ist. Ich wünsche mir, dass wir auch große Ideen umsetzen können: neue Mobilitätskonzepte, Arbeitszeitmodelle oder alternative Wege im Umgang mit sozialen Herausforderungen.


Damit landet man in der Diskussion unweigerlich in der Ethik. Wer aber soll sagen, was gut ist?

Dahinter steht die Frage, wer berechtigt ist, Entscheidungen zu treffen? Nicht zuletzt deshalb wird ein partizipativer Zugang – auch in der Wissenschaft – immer wichtiger. Die Frage ist, zu welchen Themen kann die breite Bevölkerung etwas beitragen? Bei großen Themen, wo es hingehen soll, kann sie das sicherlich. Genau diesen Ansatz verfolgen wir: In unseren Forschungen binden wir deshalb oft auch jene ein, die zwar betroffen sind, aber meist nicht gehört werden.

Zur Person

Ulrike Bechtold studierte Biologie, Anthropologie und Humanökologie an der Uni Wien und der Freien Uni Brüssel. Sie ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Schwerpunkte ihrer Arbeit sind umgebungsgestütztes Altern, Klimatechnologien und Strategische Umweltprüfung. Bechtold organisierte kürzlich in Wien die ÖAW-Tagung „Was bringt die Zukunft?“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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