Geschenkte Zeit: Ein Sekündchen länger dösen

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Auf dass astronomische und Atomuhr im Lot bleiben, wird heute an den Tag eine Schaltsekunde angehängt.

Ein Tag ist 86.400 Sekunden lang, so hielt es der Gelehrte al-Birini im Jahr 1000 fest: Eine Sekunde ist ein Sechzigstel eines Sechzigstels eines Vierundzwanzigstels eines Tages. Und wie lang ist ein Tag? Ein Problem wurde das erst, als die Meere erobert wurden: Zum Navigieren braucht es nicht nur die Sonne, sondern auch die exakte Zeit. Deshalb richtete die britische Admiralität ein Observatorium ein – Greenwich –, dort wurde gemessen, wie lange die Sonne von einem Mittag zum nächsten unterwegs ist, dann musste man nur noch durch 86.400 dividieren, und man hatte alles exakt bis auf die Sekunde.

Diese Greenwich Mean Time (GMT) wurde Referenzzeit für die ganze Erde, heute heißt sie Universal Time 1, sie wird auch um die ganze Erde herum erhoben. Aber der Wert stimmt nicht mehr überein mit der alten Definition: Ein Tag ist 86.400,002 Sekunden lang, und die zwei Millisekunden summieren sich auf fast eine Sekunde im Jahr. Wo kommen sie her? Die Erde dreht sich nicht immer gleich: Im großen Trend verlangsamt sich ihre Rotation – durch die Gravitation des Mondes etwa –, aber kurz geht es auch in die Gegenrichtung, durch Verschiebungen der Erdkruste, selbst durch das Wetter.

Brechen die Börsen zusammen?

Seit 1967 gibt es einen präziseren Takt, den von Atomuhren, sie halten die 86.400 Schläge: Der Konflikt dieser Coordinated Universal Time (UTC) mit der UT1 wird seit 1972 dadurch gelöst, dass man periodisch – unregelmäßig, man kann es nicht vorherberechnen – eine Schaltsekunde einlegt. Heute ist es wieder so weit, der 30. Juni hat nicht 86.400 Sekunden, sondern 86.401. Das erregt die Börsen, die „Financial Times“ etwa macht sich Sorgen um den Handel, der in Bruchteilen von Sekunden abgewickelt wird. Aber das war bei der letzten Schaltsekunde, 2012, auch so, einen Crash gab es nicht, nur beim Buchungssystem der Luftlinie Quantas.

Das erregt vor allem aber auch die Herren der Zeit, die sitzen im Bureau International des Poids et Mesures (BIPM), dort werden alle Maße gehütet. Bei einem gibt es endlosen Streit: Eine Fraktion, geführt von den USA (bzw. ihrem Militär) will seit 2005 die Schaltsekunde abschaffen, die Gegenfraktion, geführt von Großbritannien – Greenwich! – und China – kulturelle Gründe –, beharrt auf ihr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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