Logistik im Angesicht der Katastrophe

An intersection is flooded near the headwaters of the San Marcos River that flooded in San Marcos Texas
An intersection is flooded near the headwaters of the San Marcos River that flooded in San Marcos Texas(c) REUTERS
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Humanitäre Hilfe. Um Katastropheneinsätze organisatorisch zu bewältigen, müssen Hilfsorganisationen mit Logistikunternehmen zusammenarbeiten. Ein Forschungsprojekt zeigt auf, wie Konflikte besser gelöst werden können.

An einem Katastrophenschauplatz herrscht das pure Chaos. Im schlimmsten Fall gibt es Tote, die geborgen werden müssen, verletzte, desorientierte und geschockte Menschen, die versorgt werden wollen. Die örtliche Infrastruktur ist meist beschädigt oder ganz zerstört. Hilfe muss schnell passieren, effizient, organisiert.

„Bei einer großen Naturkatastrophe wie dem Tsunami in Thailand 2004 sind hunderte Hilfsorganisationen vor Ort, jede mit eigener Ausrüstung und Agenda. Es ist eine große Herausforderung, das in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken“, sagt Tina Wakolbinger. Bei so einem Einsatz sei auch viel logistisches Know-how gefragt.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik der WU Wien untersucht in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF, wie Non Profit Organisationen und Logistikunternehmen besser kooperieren können. Die Zusammenarbeit sei oft von gegenseitigem Misstrauen geprägt, sagt Wakolbinger. „Gerade bei mittleren und kleinen Hilfsorganisationen herrscht die Furcht, von einem profitorientierten Unternehmen über den Tisch gezogen zu werden. Außerdem fürchten sie, dass Dinge nicht so ausgeführt werden, wie sie möchten und ihre Reputation darunter leiden könnte.“ Logistikunternehmen wiederum hätten Sicherheitsbedenken, wenn sie ihre Mitarbeiter in ein Krisengebiet schicken. Um dieses Misstrauen abzubauen, will Wakolbinger spieltheoretische Modelle entwickeln, die als Starthilfe für erfolgreiche Kooperationen dienen.

Ungleiche Informationslage

Ausgehend von der Situation der Informationsasymmetrie (ein Spieler weiß mehr als der andere) setzt zum Beispiel im „Signaling Game“ der besser informierte Spieler eine Aktion, um dem anderen Spieler eine Entscheidungsgrundlage zu liefern, wenn mehrere Partner zur Wahl stehen. „Ein Beispiel dafür wäre, wenn das Logistikunternehmen vertragliche Formulierungen bezüglich Leistungsumfang, Preisgestaltung und Konsequenzen für mangelhafte Leistungserfüllung vorlegt“, sagt Wakolbinger.

Beim „Screening Game“ kann der Spieler, der weniger Information hat, den ersten Schritt setzen, indem zum Beispiel die Hilfsorganisation dem Logistikunternehmen verschiedene Vertragstypen anbietet. Die Auswahl des Vertrags gibt Aufschluss darüber, ob das Unternehmen über die notwendigen Ressourcen verfügt und ob es vertrauenswürdig ist.

In einer ersten Phase hat Wakolbinger die Unternehmen getrennt voneinander befragt, um Kommunikationsprobleme und potenzielle Schwachstellen bei der Zusammenarbeit offen zu legen.

Schwierigkeiten gibt es etwa beim Informationsaustausch, weil Logistiker und Hilfsorganisationen mit unterschiedlichen IT-Systemen arbeiten. Heikel ist auch der Transport auf der „letzten Meile“. Den übernehmen die Hilfsorganisationen in der Regel lieber selbst: „Da geht es um den direkten Kontakt mit Betroffenen und um die faire Verteilung der Hilfsgüter. Dafür braucht es eine Kenntnis der Kultur und der lokalen Gegebenheiten“, sagt Wakolbinger – Dinge, mit denen sich Logistiker normalerweise nicht auseinandersetzen.

Universitäten reagieren aber bereits auf den wachsenden Markt der humanitären Logistik. So bietet die Wirtschaftsuniversität Wien ein Lehrprogramm für Katastrophenmanagement an.

LEXIKON

Spieltheorie. Die Spieltheorie ist eine mathematische Methode, die das rationale Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen ableitet, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer abhängt. Der Begriff Spieltheorie beruht darauf, dass am Anfang Gesellschaftsspielen wie Schach, Mühle oder Dame große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. John von Neumann legte im Jahr 1928 die Grundlage der modernen Spieltheorie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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