Interdisziplinär trotz Hindernissen und Hürden

Erkenntnisgewinn. Bei ihrer Arbeit setzen viele Wissenschaftler auf eine fächerübergreifende Forschung. Das bringt neue Sichtweisen, kostet aber viel Zeit und benachteiligt bei den Ansuchen um eine Förderung.

Die Astrobiologin Pascale Ehrenfreund kann sich eine Forschung ohne das Zusammenwirken von einem halben Dutzend Disziplinen – von Astronomen über Chemiker bis zu Biologen – nicht vorstellen. „Es geht ja um das Leben im Universum“, sagt die noch amtierende FWF-Präsidentin. Für Barbara Horejs, Archäologin in der ÖAW, ist dies ebenso eine Selbstverständlichkeit. Friedrich Stadler verweist auf seine Doppelprofessur an zwei Fakultäten der Uni Wien und Boku-Rektor Martin Gerzabek sieht seine Uni sowieso als Paradebeispiel für Interdisziplinarität (ID).

Warum setzte dann der Club Research in dieser Woche ein Diskussionsforum zum Thema Interdisziplinarität in Lehre und Forschung an? Weil, so alle Referenten, die Praxis der ID auf große Widerstände und Hürden treffe; weil nicht zuletzt auch die meisten Curricula nicht auf den fächerübergreifenden Blick ausgerichtet sind; weil die Professoren, die sich der ID verschreiben, allzu oft „gegen den Strom schwimmen müssen“, sagt Friedrich Stadler.

Bis zum Beginn der 1980er-Jahre konnte man – sieht man von regulierten Studien wie Jus, Medizin oder Pharmazie ab – seinen Studienverlauf selbst bestimmen. Für eine Dissertation war nichts anderes erforderlich als die Vorgaben, die der jeweilige Doktorvater verlangte. Also einige Seminare in seinem Fach. Diese Freiheit wurde schrittweise eingeengt, mit der Bologna-Studienarchitektur gehört sie endgültig der Vergangenheit an.

Barbara Horejs hat eine schlüssige Antwort auf die selbstgestellte Frage, warum sich sie und andere der ID verschreiben: „Es geht um Erkenntnisgewinn.“ Und sie führt auch eine der Schwierigkeiten bei fächerübergreifenden Projekten an, nämlich „eine kräfteraubende Kommunikation, die immens viel Zeit kostet“. Dass sich dieser Zeitaufwand lohnt, zeigt sie am Beispiel der Archäologie. Diese war ursprünglich das Feld der Archäologen, Geologen und anderer Naturwissenschaftler. Jetzt kommen Ökologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler hinzu. Mit diesen könne man erst weiterführende Erkenntnisse gewinnen, warum der Mensch sesshaft wurde, warum er bestimmte Zentren bildete.

Das Problem mit den Peers

Die wissenschaftliche Karriere eines Jungforschers lässt zumeist keine ID zu. Für die Anerkennung und Einladung zu Kongressen ist die Anzahl der Publikationen in wissenschaftlichen Fachmagazinen entscheidend. Dort aber würden die Peers sitzen, also Forscher aus einer bestimmten Disziplin, die den Fokus auf ihr eigenes Fach richten. Das Peer-Review-Verfahren schließe fächerübergreifende Veröffentlichungen geradezu aus, sagt Markus Arnold, Professor für Wissenschaftskommunikation an der Uni Klagenfurt. „Die ID ist hier in der Defensive, sie muss sich ihren Anteil stets erkämpfen.“ Auch Martin Gerzabek stellt fest, dass die Peers dieser wichtigen Zeitschriften „mehr Mut brauchen“.

Die zweite Hürde spielt sich bei der Forschungsförderung ab, auch hier werden Anträge von ausgewiesenen Fachexperten bewertet. FWF-Präsidentin Pascale Ehrenfreund kündigte eine Öffnung des FWF in Richtung ID an. Es werde eine Strategieabteilung eingerichtet, die fächerübergreifenden Förderungsanträgen mehr Beachtung schenken wird. Ehrenfreund wird diese freilich nicht mehr administrieren können. Sie übernimmt in zwei Monaten die Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

LEXIKON

Interdisziplinäre Lehre und Forschung erlebt ein Auf und Ab. So gab es bis 1997 an der Uni Wien vier Fakultäten, nun sind es 15 Fakultäten und vier Zentren. Schon von der Struktur her ist dies eine thematische Einengung.

Der Wiener Kreis, 1907 bis 1934, ist ein frühes Beispiel einer Vereinigung von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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