Wasser in der Luft

Sonnenuntergang / Sunset
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Einer der wichtigsten Spieler beim Klima und seinem Wandel ist das Wasser, das frei schwebt, als Dampf oder in Wolken. Verstanden ist es wenig.

Wäre das Wasser der Ozeane gleichmäßig über der Erde verteilt, käme eine 2,8 Kilometer hohe Schicht zusammen. Stellt man die gleiche Rechnung mit dem Wasser an, das in der Atmosphäre ist und zu deren Masse 0,25 Prozent beiträgt, käme man auf ganze 2,5 Zentimeter. Zudem ist das frei schwebende Wasser höchst flüchtig, es fällt herab und kann Jahrmillionen im Eis gebunden liegen: „Für ein Wassermolekül ist es ein extrem unwahrscheinlicher Zustand, in der Atmosphäre suspendiert zu sein; aber während es in diesem Zustand ist, verändert es die Welt.“ So formulieren es Sandrine Bony (Paris) und Bjorn Stevens (Hamburg) in Physics Today (66, S.29): Das Wasser in der Luft macht die Erde bewohnbar, ohne es wäre es um die 15 Grad kälter.

Und das Wasser in der Luft macht die Erde vielleicht unbewohnbar: Es ist die große Unbekannte, kurzfristig beim Wetter – „das in der Luft Schwebende“ heißt auf griechisch „meteoros“ –, langfristig beim Klima. Geklärt ist eben das Einfachste: Wie kommt Wasser hinauf? Na ja, es verdunstet. Wie kommt es herab? Na ja, als Niederschlag. Aber der braucht Hilfe: Aerosole. Das sind Schwebstoffe – geogene, biogene, anthropogene –, an die lagert sich das Wasser an, wird Wolkenwasser. Das wird nicht einfach Regen, es muss erst Eis werden, braucht wieder Aerosole, diesmal Eiskristallisationskerne.

Wenn das Eis endlich fällt, wird es Regen. Oder auch nicht, dann prasselt Hagel. In ihm stecken auch die Aerosole, viele sind Spora, Mikroorganismen, Bakterien vor allem. Dass die in Wolken sind – und leben! –, hat eine heimische Gruppe – Birgit Sattler, Roland Psenner (Innsbruck), Hans Puxbaum (TU Wien) – gezeigt und vorgeschlagen, die Wolken, die immerhin 60 Prozent des Himmels bedecken, als eigenes „mikrobielles Habitat“ zu sehen (Geophys. Research Letters 28, S.239).

Aber es kommen auch andere Aerosole herab bzw. erst hinauf, manche aus dem Meer, manche aus Fabrikschloten. Beide wurden mit dem Klima in Verbindung gebracht. Bei Letzteren war es messbar. Man nannte es Gorbatschow-Effekt: Als der Kommunismus zusammenbrach, brachen auch seine Industrien zusammen, sie stanken nicht länger zum Himmel: Ihr zentrales Aerosol – Schwefeldioxid – ist klein, um es herum bilden sich kleine Tröpfchen. Die machen Wolken hell, helle Wolken reflektieren mehr Sonnenlicht: Dreck kühlt die Erde. Nun war er weg, es wurde wärmer in Europa.


Gaia. Weniger klar ist die Sache mit den Meeren. Auch aus diesen steigen Aerosole. Der Chemiker James Lovelock vermutete in den 1960er-Jahren, dass das nicht nur via Physik geschieht – Gischt –, sondern auch via Leben: Algen emittieren einen Wolkenbildner, Dimethylsulfid, und wenn sie blühen, emittieren sie viel. Das bringt Wolken, die schatten ab, die Algen blühen weniger, sie emittieren weniger, die Wolken dünnen aus etc. Lovelock entwickelte daraus die Hypothese von der Erde als lebendem System – „Gaia“ –, gehört hat man lang nichts mehr davon, Lovelock selbst verlor das Vertrauen in die Selbstregulierungskraft und fürchtete zuletzt den Klimawandel wie die Hölle.

Wie heiß wird sie? Das hängt nicht nur am Wasser der Wolken, sondern auch an dem, das als Dampf in der Luft ist. Es ist eine Art Treibhausgas, ein höchst potentes, allerdings keines wie etwa CO2. Bei dem wärmt jedes Molekül, das in die Atmosphäre geraten ist, beim Wasserdampf hingegen hängt es von der Temperatur der Atmosphäre ab, wie viel hineingelangt, es moduliert, was Treibhausgase verursachen.

Wie stark es moduliert, ist wenig verstanden: Unter anderem daran liegt es, dass die Klimatologen den Zentralbegriff ihrer Wissenschaft nicht präzise kennen, noch nicht einmal unpräzise, sie müssen grob schätzen, wie groß die „Klimasensitivität“ ist: Die gibt an, um wie viel Grad es wärmer wird, wenn die CO2-Gehalte sich verdoppeln. Experimentell klären kann man es nicht, man kann nur herumtasten, etwa in Paläodaten: Angenommen werden Werte von null bis zehn Grad, die offizielle Zahl des UNO-Klimabeirats IPCC verschwimmt auch stark: „1,5 bis 4,5“.

Diese Unsicherheit geht in Klimaprognosen ein, sie ist nicht die letzte: Die ganze Wasserfuhre ist ständig in Bewegung: Beim Verdunsten steigen Moleküle hinauf, aber wie tun sie es wo in der Atmosphäre? Und Wolken ziehen auch nicht einfach mit dem Wind, sie beeinflussen ihrerseits die Zirkulation, aber wie, und wie ändert die Erwärmung die Bahnen bzw. wie ändern die Bahnen die Erwärmung? Und nicht nur Wolken ziehen, auch Wasserdampf tut es. Er schießt von den Tropen polwärts, in „atmosphärischen Flüssen“, 2000 Kilometer lang, 1000 breit. Florian Huhn (ETH Zürich) hat eben versucht, die mitspielenden „Lagrangian coherent structures“ einzufangen (Chaos 9.6.). Übersetzen kann man die mit „Verwirbelungen“ – durch die Interaktion der von der Strömung mitgeführten Teilchen –, das Nachvollziehen ist schwieriger. Die höchste Kunst der Physik ist die Strömungsdynamik.

Aber nicht nur dort hat die Forschung Defizite, die sie gern überspielt: „Essenzielle physikalische Aspekte des Klimawandels sind erst dürftig verstanden“, schließt Bony. Und Stevens ergänzt, dass „wir zu schnell zu den politischen Implikationen unserer Arbeit kommen und die Grundlagen vergessen.“ Deshalb haben die beiden vier Grundfragen zum Wasser in der Luft formuliert (Nature Geoscience 8, S.261), es geht um die Klimasensitivität, um die Bahnen von Stürmen und Regenzonen, um das Zusammenspiel der unterschiedlichen Luftschichten.

Wer soll das abarbeiten? 2013 wurden in den USA 49 Doktorate in Atmosphärenchemie und Klimatologie erworben, 303 in Astronomie, je 2000 in Mathematik und Physik. Gerade dieser Sachverstand würde beim Klima gebraucht – Bony und Stevens werben flehentlich um Zuzug (Nature News 7.4.) –, aber für Physiker ist das Klima nicht so sexy wie es etwa Quanten sind oder Teilchen. „Wir bieten den Studenten Kurse in Klimatologie an“, klagt Strömungsdynamiker Paul Linden (Cambridge): „Aber sie gehen doch lieber zu jemandem wie Stephen Hawking, der auch Mitglied unserer Fakultät ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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