Wenn die Nacht verloren geht

Im �tscherreich - Natur und Kultur im Herzen Nieder�sterreichs
Im �tscherreich - Natur und Kultur im Herzen Nieder�sterreichs(c) ORF (Moviementum Film)
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Lichtverschmutzung. Die Städte rund um den Globus leuchten zu hell. Dadurch ist nur mehr ein Bruchteil der eigentlich mit freiem Auge erkennbaren Sterne zu sehen. Künstliches Licht stört aber auch den Schlaf und irritiert Tiere.

Als an der Wiener Ringstraße vor gut hundert Jahren neue, lichtintensive Bogenlampen installiert wurden, bemerkte man auf der Sternwarte der drei Kilometer entfernt gelegenen Türkenschanze, dass weniger Sterne am Himmel zu sehen waren. Wurde die Prachtbeleuchtung abgeschaltet, sah man wieder mehr Sterne. Der 1924 in der astronomischen Literatur dokumentierte Effekt gilt als einer der ersten wissenschaftlichen Belege für Lichtverschmutzung. „Mittlerweile sieht man am österreichischen Nachthimmel höchstens noch rund zehn Prozent der an sich mit freiem Auge erkennbaren Sterne“, sagt Thomas Posch vom Institut für Astronomie der Uni Wien.Sein Arbeitsplatz ist die Universitätssternwarte, die sich bis heute auf der Türkenschanze befindet.

„Dabei ist Lichtverschmutzung eigentlich ein paradoxer Begriff, weil das Licht – anders als Wasser oder Luft – ja nicht verschmutzt wird. Es wird selbst zum Störfaktor“, so Posch. Auch wenn das Phänomen schon länger bekannt ist, gilt es doch als Problem der Zeit. Denn: Die Städte werden immer heller. Und so befasst sich die Wissenschaft erst seit rund zehn Jahren intensiver mit den Auswirkungen von künstlicher Beleuchtung in Städten.

Satellitenbilder überbelichtet

Auch das 1500-Fache der natürlichen Nachthelligkeit sei heute keine Seltenheit, so Posch: ein überhöhter Wert, den man in keinem anderen Bereich der Umweltverschmutzung akzeptieren würde. Auf der Uni-Sternwarte messen die Wissenschaftler täglich, auch bei Bewölkung, die Helligkeit des Nachthimmels. Diese ist aber nur schwer zu erfassen: Durch die hohe Intensität der Lichtquellen sind Satellitenbilder oft überbelichtet. Besser zeigen lässt sich die Ausbreitung des Lichts über die Zeit: Am Beispiel Berlin erkenne man etwa klare Unterschiede der Beleuchtung vor und nach dem Mauerfall.

Für Österreich hat Posch vor zehn Jahren im Auftrag des Bundesheeres die erste Lichtverschmutzungskarte erstellt. Die Daten zeigten aber immer nur „die Spitze des Eisbergs“. Der Forscher rückt daher auch aus und misst direkt im Stadtgebiet. „Licht ist intuitiv schwer zu erfassen. Beim Nachmessen vor Ort ist man oft überrascht vom tatsächlichen Wert.“ Die Wiener Wissenschaftler waren auch die ersten, die mit einem großen Teleskop die Farbzusammensetzung des Lichts über einer Stadt erfassten.

Die Lichtfarbe spielt eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung: Kurze Wellenlängen, also kaltweiß wirkendes Licht, aktiviert eher. Viele Menschen werden daher bei entsprechender Badezimmerbeleuchtung vor dem Schlafengehen wieder munter. Was sich zu Hause leicht beheben lässt, scheint im öffentlichen Raum schwieriger: „Die Erkenntnisse sind in der Praxis noch nicht angekommen“, kritisiert der Forscher. Der Trend gehe in die falsche Richtung, es würden immer mehr viel zu grelle und kaltweiße Leuchtmittel verwendet.

Nächtliche Erholung fehlt

Aber nur in der Dunkelheit bildet der Mensch das Hormon Melatonin, das den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers regelt. Ist es zu hell, kommt es zu Schlafstörungen, die auch für das Gedächtnis wichtige nächtliche Erholung wird unterbrochen. Gelbliches Licht bringt die Melatoninproduktion weniger durcheinander. Erst vor rund zehn Jahren zeigten Wissenschaftler, dass es im menschlichen Auge neben Zapfen und Stäbchen auch einen dritten Rezeptortyp gibt: Zellen, die keine Bildinformationen liefern, aber stark auf Licht mit kurzen Wellenlängen ansprechen.

Entscheidend ist aber auch der Zeitpunkt: Der Mensch braucht – je nach Typ – ab etwa 23 Uhr völlige Dunkelheit. „Der Mensch ist eigentlich ein lichthungriges Wesen. Hier braucht es ein Umdenken, dass das auch schädlich sein kann“, sagt Posch. Immerhin reduzieren immer mehr Städte, darunter auch Wien, in der späten Nacht die Intensität ihrer Straßenlaternen. So lässt sich viel Energie sparen: Die Stadt Wien strahlt pro Nacht zwei Megawatt an Lichtleistung in den Weltraum ab. Allein durch die Vorverlegung des Dimmens der Straßenlampen von Mitternacht auf 23 Uhr werden jährlich 230.000 Stunden Beleuchtung gespart, so Posch.

Laut Posch gäbe es „keine erwiesenen Nachteile, aber viele Vorteile“, wenn man in der Nacht das Licht reduziert: „Statistiken belegen, dass weder die Zahl der Unfälle noch die der Einbrüche steigt.“ Vandalismus werde mitunter sogar reduziert: Eine Untersuchung der Gebäudebeleuchtung in Schulhöfen bei Nacht zeigte etwa, dass Graffiti-Sprayer sehen wollen, was sie machen. Auch die Tierwelt leidet unter zu viel Licht. Straßenlampen werden zur Lichtfalle für Nachtfalter, Fische irritiert Brückenbeleuchtung. Vögel kollidieren mit beleuchteten Hochhäusern (siehe unten).

Wichtig sei daher, dass verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten: neben Astronomen auch Schlafforscher, Insektenkundler, Vogelforscher oder Wissenschaftler, die sich mit Beleuchtungstechnologie und Energieeffizienz befassen. Posch arbeitet an einem der bislang raren Projekte zum Thema, dem von der EU geförderten „Loss of the Night Network“ mit. „Es geht uns um Wissen, das nicht in der Schreibtischschublade verschwindet, sondern auch zu den Stadtplanern vordringt“, sagt er.

Mit Fackeln unterwegs

Aber schon das bereits vorhandene Wissen anzuwenden, sei ein entscheidender Schritt. Man solle etwa überdenken, wie man moderne LED-Technologie einsetzt. „Das Auge bemerkt selbst eine größere Reduktion des Lichts nicht.“ Insgesamt weniger, aber dafür warmweißes und dimmbares Licht zu nutzen, ist seine Empfehlung im aktuellen Jahr des Lichts.

Und seine Vision? „Man könnte heute wieder zum Prinzip der mobilen Lichtquellen zurückkommen.“ Das bedeutet: Wie die Menschen früher eine Fackel mit sich trugen, soll leuchten, wer unterwegs ist.

BUCHTIPP



„Das Ende der Nacht“
(Hg. Thomas Posch u. a.), Wiley-VCH Verlag, 29 Euro) erschien erstmals im Internationalen Astronomiejahr 2009. Im Vorjahr wurde eine zweite, wesentlich erweiterte Auflage herausgegeben. Neben einem Überblick über die Lichtverschmutzung in Mitteleuropa zeigen die Autoren gesellschaftliche Folgen von Lichtverschmutzung, aber auch die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt auf. Das nächtliche Kunstlicht beeinflusst nicht nur Vögel und Insekten, auch die Gewässerökosysteme leiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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