Ein Klavier, das alle Stückerln spielt

Klaviertastatur
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Musik. Ein niederösterreichisches Start-up-Unternehmen wollte die Vorteile eines E-Pianos mit ausgefeilter Konzertflügelmechanik verbinden. Das Alpha-Piano ist bereits auf dem Markt, ein weiterer Prototyp in Arbeit.

Sie spielen Klavier? Dann kennen Sie sicher die Diskussion: Flügel, Pianino oder E-Piano. Sie hätten am liebsten einen großen Konzertflügel mit der viel gepriesenen Flügelmechanik, gepaart mit den vielen Vorteilen eines E-Klaviers, angefangen bei der nachbarschaftsfreundlichen Lautstärkedrosselung aufgrund der möglichen Kopfhörerbenutzung bis hin zur einfach zu behebenden Platzproblematik. Alles auf einmal? Ein 2009 gegründetes Start-up-Unternehmen in St. Andrä Wördern in Niederösterreich macht es möglich.

„Fünf Jahre arbeiteten wir an der Entwicklung dieses neuartigen Klavierdesigns“, erzählt der Unternehmensgründer Mario Aiwasian. Er sammelte jahrelang in der Entwicklungsabteilung und der Vermarktung des renommierten Klavierherstellers Bösendorfer Erfahrungen und war dort an der Entwicklung des Computerklaviers Ceus beteiligt.

Dann wurde die Firma aufgrund des Bawag-Skandals von Yamaha gekauft und viele Projekte einfach eingestellt. Seine Vision war es, ein Klavier herzustellen, das die Vorzüge eines E-Pianos mit der ausgefeilten Konzertflügelmechanik in sich vereint. Ein Klavier mit klassischen mechanischen Elementen und einer elektronischen Tonentwicklung.

Hammerkopf trifft Sensor

Seit einem Jahr ist das Alpha-Piano auf dem Markt. „Wir haben eine Elektronik entwickelt, mit der sich die Flügelmechanik bedienen lässt“, berichtet Mario Aiwasian. Dabei wird die gleiche Mechanik von der Firma Renner mit echten Filzhammerköpfen wie bei einem Konzertflügel, einem Bösendorfer 280 oder einem Steinway D-274, verwendet.

Und das funktioniert so: Bei einem herkömmlichen Flügel wird beim Anschlagen einer Taste ein Hammerkopf bewegt, der auf eine Saite schlägt. Die Saite beginnt zu schwingen, wodurch ein Ton erzeugt wird. Je stärker ich eine Taste drücke, desto lauter wird der Ton. Beim Alpha-Piano schlägt der Hammerkopf nicht auf eine Saite, sondern auf einen Drucksensor. Dieser Sensor verhält sich eins zu eins wie eine herkömmliche Klaviersaite. Wird eine Taste angeschlagen, wird der Sensor mithilfe eines Hammerkopfes gedehnt. Er biegt sich, daraus wird der Ton elektronisch berechnet.

So bleibt beim Alpha-Piano die Anschlagsqualität eines Konzertflügels erhalten. Das Spielgefühl ist bei beiden Klaviertypen ident. „Sowohl beim Klang als auch beim Spielgefühl ist unser Instrument nicht von traditionellen Klavieren zu unterscheiden“, so der Ko-Geschäftsführer Roland Moser.

Profimusiker wie Chick Corea und Nigel Kennedy, die Prototypen ausprobieren konnten, bestätigten das. Bei einem E-Piano fehlt eine Mechanik. Der Tastendruck wird nicht durch ein schwingendes Medium verstärkt, sondern direkt in einen elektronischen Ton umgewandelt.

Klein, leicht und günstig

Die abgesehen vom Preis – ein Alpha-Piano kostet nur ein Fünftel eines guten Konzertflügels, zwischen 20.000 und 30.000 Euro – ins Gewicht fallenden Vorteile sind bestechend: „Es ist kleiner und leichter als ein Pianino, weil wir keine Saiten und daher auch keinen schweren Gussrahmen benötigen“, so Aiwasian.

Es ist vor allem aufgrund der fehlenden Saiten wartungsfrei, muss also auch nicht gestimmt werden. Daher ist auch die Raumfeuchtigkeit egal, während der Resonanzboden eines Flügels bei einer Luftfeuchtigkeit unter 50 Prozent Risse bekommen kann. Die Töne werden jedoch nicht durch einen Resonanzboden, sondern durch Lautsprecher verstärkt.

„Worauf wir sehr stolz sind, ist die Eigenschaft, dass das Alpha-Piano in der Höhe verstellbar ist. Das ist einzigartig. Kinder können dadurch in der ihrer Körpergröße angemessenen Sitzposition spielen. Das Klavier kann mit ihnen mitwachsen.“

Das Unternehmen geht auch noch einen Schritt weiter: Es entwickelt ein mechatronisches Piano, das M-Piano, das Anfang des Sommers als Prototyp vorliegen soll. Dabei handelt es sich um ein berührungsempfindliches Keyboard. Dabei ist unter jeder Taste ein sogenanntes Gegengewicht, ein Aktor, angebracht, durch den sich der Widerstand und damit das gefühlte Gewicht der Taste verändern lassen. „Bei gleicher Anschlagstärke entstehen durch verschiedene Einstellungen unterschiedlich laute Töne. Beim M-Piano ist wirklich die unterschiedliche Schwere der Tasten fühlbar“, erläutert Aiwasian. Bei einem E-Piano entsteht nur der Eindruck, die Taste sei schwerer zu drücken.

Vibrato wie auf einer Violine

Konzertflügel-, Kirchenorgel- oder Synthesizer-Klang und -Feeling – das M-Piano bietet alles. „Wenn ich auf der Oberfläche einer Taste entlangrutsche, kann ich beispielweise ein Vibrato wie bei einer Violine erzeugen.“ Die Fingerbewegungen werden wie bei einem Smartphone erkannt.

Die Einstellungen von Liedern können gespeichert werden, sodass man die Einstellungen nicht immer neu vornehmen muss, sondern speichern kann. Auch die Reihenfolge der Lieder lässt sich eingeben. Gesteuert wird das Gerät durch eine App via Tablet. Das ist vor allem auf Konzerttouren von Vorteil.

Eine, die das Potenzial des M-Pianos bereits erkannt hat, ist Lady Gaga. Sie hat Interesse an den Produkten bekundet.

LEXIKON

Alpha-Pianos ist ein 2009 gegründetes Start-up-Unternehmen, das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH (AWS) und dem Land Niederösterreich gefördert wurde. Es ist auf elektronische Musikinstrumente mit besonderem Design spezialisiert. 2013 belegte die Firma beim RIZ-Genius-Award den ersten Platz. 2015 war sie Gesamtsieger beim I2b-Businessplan-Wettbewerb und belegte mit der Entwicklung des neuartigen Tasteninstruments M-Piano den ersten Platz in der Kategorie „Technologie“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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