Besuch bei Zwerg 134340, vormals Planet Pluto

(c) REUTERS (NASA)
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Nach neun Jahren Reise rast die Nasa-Sonde New Horizons heute in 12.500 Kilometer Entfernung am früheren Außenposten des Sonnensystems vorbei, der seinen Namen zu Recht von der eisigen und finsteren Unterwelt hat.

Als sie ihren Vater Kronos, der sie alle hatte verschlingen wollen, endlich niedergerungen hatten, würfelten die Brüder das Erbe aus: Zeus erhielt den Himmel, Poseidon die Meere, für Hades blieb die Unterwelt, „fahle Dämmerung und Winter herrschten in dieser Öde“. So steht es bei Ovid (Metamorphosen IV, 432), und diesen bzw. die griechisch-römische Mythologie hatte Venetia Burney intus, eine Elfjährige in Oxford. Bis zu ihr war die Sensation gedrungen, die am 14. März 1930 von Flagstaff, Arizona, um die Erde ging, etwa auf der Titelseite der „New York Times“: „In the little cluster of orbs which scampers across the siderial abyss under the name of the solar system there are, be it known, nine instead of eight, worlds.“

Planet X wurde erst übersehen

Neun statt acht, sei es kundgetan! 1894 hatte der Hobby-Astronom Percival Lowell aus leichten Unregelmäßigkeiten der Bahn des bis dahin äußersten Planeten, Neptun, auf die Existenz eines weiteren geschlossen, er nannte ihn Planet X und investierte sein Geld in ein Observatorium, in Flagstaff. Dort saß er hinter Okularen bzw. über Fotos, er starb über der Suche, bitter genug: 1915, ein Jahr vor seinem Tod, war der Gesuchte auf Fotos, aber so winzig, dass Lowell ihm keine Aufmerksamkeit schenkte. Erst Clyde Tombaugh, ein Mitarbeiter seines Neffen und Nachfolgers, hielt die Augen 1930 weit genug offen.

Als Nächstes brauchte der Neue einen Namen, Neffe Lowell bat um Vorschläge, viele kamen, aus Oxford der von Burney: Pluto, das römische Pendant des Hades, er fand Anklang, vermutlich auch deshalb, weil seine Anfangsbuchstaben zugleich die Initialien Lowells des Älteren waren.

Aber mehr als einen Namen hatte man zunächst nicht. Und als die Teleskope größer wurden, wurden die Gesichter länger: Der Neue wurde immer kleiner. Bei der ersten Beobachtung hielt man ihn für so groß wie die Erde, in den 1950er-Jahren schrumpfte er auf ihre halbe Größe, im Spaß sahen manche den Planeten bald wieder verschwinden. Das geschah auch, am 22. August 2006: Inzwischen hatte man viele Himmelskörper gesichtet, die Pluto ähnelten, einer war gar größer als er. Deshalb entzog ihm die International Astronomical Union (IAU) auf einem Kongress in Prag nach bitterem Streit den Status eines Planeten und stufte ihn herab zum Zwergplaneten. Nr. 134340.

Eine aufwendige Raummission wegen eines Zwergs? Der Beschluss in Prag kam für die Entscheidung zu spät, seit Januar 2006 war die konzertflügelgroße Sonde New Horizons unterwegs. Nach 4,88 Milliarden Kilometer ist sie nun dort, heute um 13.49 kommt sie dem Pluto am nächsten, sie rast mit einer Geschwindigkeit von 49.600 km/h in einer Entfernung von 12.500 Kilometern an ihm vorbei. (Landen kann sie nicht, sie kann nicht bremsen, hat kaum Treibstoff an Bord.) Damit rundet die Nasa ihre Erkundung des Sonnensystems ab, exakt vor 50 Jahren schickte Mariner 4 die ersten Bilder vom Mars. Und nicht nur beim Datum war die PR-Abteilung der Nasa dabei, sie sorgte auch für Prominenz an Bord: Die Familie des Entdeckers Tombaugh hat ein wenig Asche aus der Urne des 1997 Verstorbenen zur Verfügung gestellt: „Ich glaube, mein Vater wäre begeistert von New Horizons“, erklärt Tochter Annette der „New York Times“: „Als er Pluto sah, war es ein Staubkorn.“

Atmosphäre kommt und geht

Was sehen die Kameras nun aus der Nähe? Pluto ist klein, er hat 2280 bis 2320 Kilometer Durchmesser – die Erde: 12.742 –, er hat damit viel zu wenig Masse, um die Bahn des Neptun zu beeinflussen: Die Suche nach ihm war einem Irrtum zu danken. Und Pluto ist eisig, im Jahr 2005 hatte er minus 230 Grad, das ergaben Messungen des Weltraumteleskops Hubble. Das war weniger als berechnet, es könnte durch eine Atmosphäre erklärt werden, die vor allem aus Stickstoff besteht. Die ist nicht immer da: Pluto bewegt sich auf einer exzentrischen Bahn in 248 Jahren um die Sonne, am nächsten kommt er ihr im Perihel mit 29,7 Astronomischen Einheiten (AU) – Erde: eine AU von der Sonne –, dann entfernt er sich ins Aphel auf 49,7 AU. Im Perihel kommt genug Energie, um gefrorenes Material der Oberfläche – Stickstoff vor allem, Methan und Kohlenmonoxid – in Gas übergehen zu lassen, und im Perihel war Pluto 1989, davon zehrt seine Atmosphäre noch.

Aber es ist unwirtlich und finster – es gibt 2500-mal weniger Sonnenlicht als bei uns, deshalb bezieht die Sonde ihre Energie aus Radioaktivität. Allein immerhin ist Pluto nicht, er wird von einem extrem großen Mond begleitet, Charon, halb so groß wie Pluto, ihn kennt man schon länger. Erst in den vergangenen Jahren machte die Sichtung weiterer Monde die fliegende Unterwelt komplett: Kerberos, Nix, Styx, Hydra. Das sind wohl alle, der Sonde New Horizons ist sonst nichts vor die Kameras geraten, das ist ihr erster Befund, die Nasa war erleichtert, rasch umsteuern kann man New Horizons nicht, die Signale sind 4,5 Stunden unterwegs.

So lang brauchen sie auch umgekehrt, und New Horizons sendet schwach, ein Kilobit pro Sekunde (ein Handy der dritten Generation bringt es auf bis zu 384.000): Die ganze Fuhre der Bilder und Daten wird 16 Monate brauchen. Wer weiß, welchen Status Pluto bis dahin hat! Die Auseinandersetzung um seinen Status bzw. die Definition von Planeten ist wieder in vollem Gang.

Was ist ein Planet?

Bevor Pluto 2006 zum Zwergplaneten degradiert wurde, war überhaupt nicht klar, was ein Planet ist, es musste erst einmal definiert werden: Ein Planet muss (a) eine Bahn um ein Zentralgestirn wie unsere Sonne ziehen, das ist unstrittig. Zum Zweiten wurde verlangt, dass ein Himmelskörper (b) nicht eckig ist, sondern rund, weil er genug Masse hat, um Ausbuchtungen einzuebnen. Aber dann wäre auch der Asteroid Ceres ein Planet. Deshalb kam als drittes Kriterium das einer Bahn, die (c) von anderen Himmelskörpern „frei geräumt“ ist, weil der die Bahn Ziehende alles Material in ihr aufgenommen hat. An diesem Kriterium scheiterte Pluto, der durchaus rund ist und um die Sonne zieht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2015)

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