Die Evolution der Gesteine

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Auch Mineralien haben Geschichte, sie wurde nur lang übersehen. Robert Hazen hat sie rekonstruiert und ihre stärkste Triebkraft identifiziert: Leben.

Seit wann es auf der Erde Ton gebe, wurde Geologe Robert Hazen (Carnegie Institution) auf einer Weinachtsparty gefragt, von einer Biologin: Nach einer Hypothese spielten bei der Entstehung des Lebens Tonmineralien mit, sie müssen also da gewesen sein, als die Evolution vor 3,5 Milliarden Jahren anhob. Eine Antwort hatte Hazen nicht, aber die Frage konnte er fruchtbar machen und sein eigenes Feld in eine ganz neue Perspektive rücken: Traditionell ordnet man Gesteine nach Chemie und Physik – Komposition und Kristallstruktur –, so hält man es auch in Museen. Nun kam die Zeit hinzu bzw. die Entwicklung, Hazen nennt sie „Evolution“.

Evolution? Zwar hatte schon Darwin, von der Qualifikation her vor allem Geologe, aus den Umschichtungen der Erde – und natürlich aus in ihr bewahrten Fossilien – auf eine Evolution des Lebens geschlossen. Aber dass die Erde selbst bzw. ihre Materie eine durchlief?

Den Terminus übernahmen Erdkundler – ein Fachbuch der 1920er-Jahre hieß „The Evolution of Igneous Rocks“ –, aber sie konzentrierten sich auf einzelne Phasen und Gesteine, in diesem Fall die vulkanischen. Erst auf der Party ging Hazen die Idee in aller Breite auf, er holte fast im Alleingang nach, was seine Zunft übersehen hatte: Am Anfang, eine halbe Million Jahre nach dem Urknall, fand zwar erste Materie zusammen, aber es gab fast nichts, drei chemische Elemente, Wasserstoff und Helium, etwas Lithium. Heute hat die Erde um die 4400 Mineralien. Wie das?

Erst musste die Palette der Elemente erweitert werden. Dafür sorgten Sterne – Himmelskörper wie unsere Sonne, die in Kernfusion verbrennen – sie „erkochten“ die schwereren Elemente und schleuderten sie in ihren finalen Explosionen ins All. Deren Gewalt sorgte auch für erste „ur-minerals“ (Hazen), Diamanten und Graphit vor allem. All das war hoffnungslos verstreut in den Weiten des Alls, zusammenfinden konnte es nur dort, wo sich aus dem kosmischen Staub wieder Sterne bildeten und, vor allem, Planeten. Sie sind für Hazen die „Maschinen der Formation von Mineralien“.

Ihre Arbeit begannen sie (bei uns) vor 4,5 Milliarden Jahren: Der kosmische Staub zog sich zum Sonnensystem zusammen, im Zentrum der Stern, um ihn herum erst kleinere Klumpen, Planetesimale, sie gerieten heftig aneinander, ihr Material wurde immer wieder aufgeschmolzen und gemischt, die Zahl der Mineralien stieg auf 60. Die waren auch in den größeren Zusammenballungen, den Planeten, dort halfen Vulkane, Wasser und Atmosphäre bei der Erweiterung der Vielfalt auf 250.


Theia. Dann lief die Entwicklung weiter, auf der Erde, nur auf ihr, in vier Stufen, Hazen hat sie für die Fachwelt im Detail rekonstruiert (American Mineralogist 93, S.1693) und für Laien bunt ausgemalt (Scientific American 303, S.58): Erst wurde die Erde schwarz: Ein marsgroßer Himmelskörper – Theia – fuhr in sie hinein, schlug den Mond aus ihr heraus und verflüssigte ihre Kruste zu einem Magmameer. Als das auskühlte, wurde es Basalt – der ist schwarz –, in ihm hatte die Hitze für 500 neue Mineralien gesorgt, so viele dürften es auch auf Mars und Venus sein, der kleine Mond konnte nicht mithalten, kühlte rasch aus, hat geschätzte 350.

Dann waren auch Venus und Mars am Ende, auf der Erde kam etwas Einzigartiges in Gang, die Plattentektonik, sie verfrachtet Material von der Oberfläche in die Tiefe und wieder hinauf. Damit schichtete sie so um, dass weitere 1500 Mineralien gebildet wurden.

Und dann, vor 2,2 Milliarden Jahren, wurde die Erde rot, dafür sorgte die stärkste Triebkraft der Mineralien, das Leben. Das war zwar schon lang da, größeren Einfluss auf Gesteine bekam es aber erst, als es die Fotosynthese erfand. Zuvor hatte es kaum freien Sauerstoff gegeben, nun entstand er, im Great Oxidation Event, der ließ den Planeten rosten. Gar so groß war das Event nicht, es brachte gerade ein Prozent des heutigen Sauerstoffs, hatte aber Kraft genug, 2500 weitere Mineralien zu bilden, gewaltige Schichten von Eisen- und Kupferoxiden etwa.

Dann geschah lang nichts, eine Milliarde Jahre („Boring Billion“), dann wurde die Erde weiß: Eis – für Mineralogen auch ein Mineral – überzog den Planeten zum Snowball Earth. Als der taute, kam, vor 542 Millionen Jahren, die „kambrischen Explosion“, sie ließ das Leben blühen, brachte die Mehrzeller, unter ihnen Biomineralisierer, die alles Mögliche aus Mineralien bauten, von Korallenriffen bis zu Knochen. Wir tun kräftig mit, haben 34 Biomineralien im Körper, etwa in den Ohren: Dort sorgen Steinchen – Otolithen – dafür, dass wir uns an der Schwerkraft orientieren bzw. das Gleichgewicht halten können.

Und dann wurde die Erde endlich grün, vor 460 Millionen Jahren entstanden die Landpflanzen, sie brachen das Gestein auf, zerbröselten es und brachten etwa Ton in rauen Mengen. Er ist zwar viel älter, das Leben ist ihm jedoch eher nicht zu danken, dafür war er am Anfang zu rar. Wer half dann bei der Geburt? Viele Mineralien sind Kandidaten, Hazen ist einer Gruppe nachgegangen, Boraten: Manche Forscher gehen davon aus, dass das erste Leben aus RNA bestand. Aber RNA bzw. ihr Rückgrat aus Ribose ist nicht sehr stabil. Die Biologie hat Wege gefunden, aber vor bzw. bei ihrer Entstehung hätten Mineralien helfen müssen, Borate etwa. Waren diese vor 3,5 Milliarden Jahren ausreichend da? Hazen muss es offen lassen (Origine of Lives and Evolution of Biospheres 41, S.307).

Offen bleibt auch, wie weit „Evolution“ trägt. „Mineralien mutieren nicht und geben keine genetischen Informationen weiter“, weiß Hazen, er definiert Evolution breit als „Wandel über die Zeit“, der geordnet abläuft, deterministisch und irreversibel. Unter dieses Begriffsdach will er vieles integrieren, auch Kulturen und Sprachen. Bei denen ist es wie beim Leben, Formen entstehen, Formen vergehen. Und Gesteine? Bleiben sie für immer oder sind manche ausgestorben? Vermutlich schon, nicht bei uns, aber auf der einst nassen Venus: Die ist längst ausgedörrt, das müsste manchen hydrierten Mineralien ein Ende bereitet haben.

PS: Wie sieht sie aus, die neue Ordnung der Mineralien? Christian Köberl, Chef des Naturhistorischen und Geochemiker, der Hazen gerade zu Gast hat, will es in seinem Haus in kleinem Maßstab vor Augen führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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