Die Europareise eines Gemäldes

Kunstgeschichte. Vom Ölbild über einen Kupferstich bis zur barocken Collage auf Alabaster: Zur Provenienzforschung zur Darstellung der Flucht des Aeneas über mehr als vier Jahrhunderte.

Das im Stift Neukloster in Wiener Neustadt gelagerte Bild aus dem 17.Jahrhundert sollte einer gründlichen Restaurierung unterzogen werden. Dabei hat die kunsthistorische Spurensuche dieser Darstellung aus dem 17.Jahrhundert – zu sehen ist die Flucht des Aeneas aus Troja – den erstaunlichen Weg des Bildmotivs quer durch Europa offengelegt.

Nach ersten Recherchen zur Provenienzklärung im Institut für Konservierung und Restaurierung der Universität für angewandte Kunst Wien – zuständig war die angehende Restauratorin Jin Yi Lee – war bald klar, dass die Darstellung eins zu eins einem Ölgemälde des italienischen Malers Federico Barocci entspricht, das in der Galleria Borghese in Rom zu sehen ist. Der damals hoch angesehene Barocci hat bereits von 1546 bis 1548 ein Aeneas-Gemälde im Auftrag des in Prag residierenden Habsburgers Rudolf II. gemalt: Dieses Gemälde ist aber unauffindbar, eine Vorzeichnung befindet sich allerdings im Cleveland Museum of Art in Ohio, USA. Zehn Jahre später fertigte Barocci analog zum ersten Gemälde das heute noch erhaltene Bild an, er sandte zudem eine Vorlagenskizze an seinen Freund Agostino Carracci, der in den Niederlanden lebte und der von diesem Motiv einen Kupferstich anfertigte. Dieser Kupferstich fand wiederum im 17.Jahrhundert im Bildhandel eine weite Verbreitung.

Süddeutscher Künstler

Bei der Darstellung aus dem Stift Neukloster handelt es sich um eine Collage auf Alabaster von einem unbekannten Künstler aus Süddeutschland. Diesem Künstler hat vermutlich der Kupferstich von Carracci als Vorlage gedient. Dazu die Koreanerin Jin Yi Lee: „Durch den Vergleich der Details der beiden Darstellungen scheint der Kupferstich als direkte Vorlage für das Objekt plausibler als das Gemälde Baroccis in der Galleria Borghese in Rom.“

Wie das Bild, das offensichtlich für eine Kunst- und Wunderkammer bestimmt war, in das Stift Neukloster gelangt ist, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Das Stift wurde 1444 von Friedrich III. gegründet (RudolfII. war übrigens ein Nachfahre der fünften Generation von Friedrich III.). Das Bild ist wahrscheinlich in der Blütezeit des Stifts Neukloster angekauft worden, und zwar Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts.

Die Herstellungstechnik ist ungewöhnlich, ein vergleichbares Objekt war, so Jin Yi Lee, nicht zu finden. Bei dem Objekt handelt es sich um eine Collage auf bemaltem Alabaster, also Gipsstein. Als künstlerisches Zentrum der Alabasterreliefs galt im 16. und 17.Jahrhundert die niederländische Stadt Mechelen. Die Collage aus Papier und Textil war in Mechelen nicht bekannt, sie entspricht wiederum Arbeiten aus Süddeutschland.

Das Motiv zeigt Aeneas, der auf den Schultern seinen Vater, Anchises, trägt, vor ihm der flüchtende Sohn Askanios, neben ihm etwas zurückgesetzt seine Frau, Creusa. Der Bildhintergrund – die Stadt Troja (mit nachgebildeten Gebäuden aus Rom) – ist im bemalten Alabaster dargestellt, die Figuren hingegen in der Collagetechnik: Für die Köpfe wurde handgeschöpftes Hadernpapier verwendet, die Kleider wurden mit Seidensatin aufgeklebt. „Die ungewöhnliche Herstellungstechnik lässt vermuten, dass es sich um ein Kunstkammerobjekt handelt“, sagt die Restauratorin Lee. Fehlerhafte Stellen sollen nicht nachgemalt werden, Lee nimmt vielmehr die Ergänzung mit einem neutralen Hadernpapier und einer Grafiklinie, die die Konturen nachzeichnet, vor.

Neues Klostermuseum 2017

Das Aeneas-Bild ist eines der zahlreichen interessanten Objekte im Stift Neukloster. „Es geht um Paramente, liturgische Gewänder, um Gemälde und Objekte“, skizziert Institutsleiterin Gabriela Krist das umfangreiche Vorhaben. Das Institut hat die Inventarisierung abgeschlossen, Restaurierungen begonnen oder schon durchgeführt und die Planung einer für 2017 geplanten Neuaufstellung der 5100 Objekte umfassenden Sammlung in Angriff genommen (Dissertationsarbeit Johanna Wilk). Das Stift Heiligenkreuz, das 1881 Neukloster übernommen hat, und das Land Niederösterreich tragen die Kosten für die Neuaufstellung.

LEXIKON

Sammlung Neukloster. Im Wiener Neustädter Stift Neukloster ist im 16./17.Jahrhundert eine Kunst- und Wunderkammer angelegt worden. Das Institut für Konservierung und Restaurierung der Uni für angewandte Kunst Wien unter der Leitung von Gabriela Krist ist in die Neuaufstellung der ehemaligen Kunstkammer maßgeblich eingebunden. Gefördert wird das Projekt durch die Depotoffensive des Landes Niederösterreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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