„Wissenschaftliches Wunderland“ Pluto

(c) REUTERS (NASA)
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Die Nasa-Sonde New Horizons bringt wieder Überraschungen vom Zwergplaneten: Auf seiner Oberfläche fließen Gletscher, in seiner Atmosphäre hängen Nebel. Nicht mehr lang, die Atmosphäre verschwindet.

Auch in der Unterwelt gibt es eine Unterwelt, dort büßen die Ruchlosesten, Tantalos etwa, der den Göttern den eigenen Sohn auftischte. Zu Strafe steht er in einem Teich, über ihm biegen sich Bäume unter „balsamischen Birnen, Granaten, süßen Feigen“. Aber wenn er trinken will, weicht das Wasser, und wenn er Früchte pflücken will, werden sie vom Sturm verweht (Odyssee 11, 582 ff).

Das spielt im Tartaros, tief unten im Hades, oben ist er ewig eisig, unten gibt es flüssiges Wasser und Obst. Natürlich ist es ein Zufall, dass der 1930 entdeckte äußerste Planet, der 2006 zum Zwergplaneten degradiert wurde, nach Hades bzw. seinem römischen Pendant benannt wurde. Aber man darf den Zufall genießen: Als die Nasa-Sonde New Horizons nach sechseinhalbjährigem Flug Mitte Juli erste Fotos von Pluto schickte, stach das Eis ins Auge: 3500 Meter hoch ragen Gebirge aus Wassereis, es wird bei den Temperaturen auf Pluto – sie schwanken mit dem Abstand zur Sonne, liegen aber immer unter minus 200 Grad Celsius – fest genug. Zwei Gipfel hat die immer auch semantisch findige Nasa nach den Erstbesteigern des Mt. Everest benannt: Hillary und Norgay.

Eis, das in eisigsten Temperaturen fließt

Die stehen also fest aus Eis gebaut, aber an den Füßen des Gebirges bewegt sich etwas, vor allem am Rand der herzförmigen „Tombaugh Regio“, sie hat ihren Namen vom Entdecker des Pluto: Dort fließen Gletscher, das zeigen die jüngsten Bilder von New Horizons, und diese Gletscher bestehen auch aus Eis, dem von Stickstoff, Kohlenmonoxid und Methan. Das bleibt laut Bill McKinnon, dem stellvertretenden Chefgeologen der Mission, auch bei den Temperaturen des Pluto zum langsamen Fließen flüssig genug.

Offenbar füllen die Gletscher Einschlagskrater auf, das würde erklären, warum man fast keine gesichtet hat. Aber wo kommt das Material her? Entweder „top down“ aus der Atmosphäre oder „bottom up“ aus dem Inneren des Pluto, McKinnon neigt Letzterem zu, der „inneren Hitze“. Allerdings kennt man keinen Mechanismus, der sie erzeugen könnte: Wäre der kleine Pluto je heiß gewesen, von Radioaktivität oder einem Zusammenprall, wäre er längst ausgekühlt.

Kommen die Gletscher dann aus der Atmosphäre? Die hat sich in den letzten zwei Jahren um die Hälfte ausgedünnt – New Horizons hat den Luftdruck gemessen –, vielleicht verschwindet sie gerade ganz, sie tut das wohl immer, wenn Pluto sich weit genug von der Sonne entfernt. Dann frieren die Gase aus. Aber warum sollten sie regional kilometerdicke Gletscher bilden?

Immerhin, noch ist die Atmosphäre dicht genug, so dicht, dass New Horizons in ihr Nebelschwaden gesichtet hat. „Fließendes Eis, Gebirge, Nebel, Pluto ist wirklich spannend“, erklärt John Grunsfeld von der Nasa, und Missionschef Alan Stern fasst sich noch kürzer: Pluto ist ein „wissenschaftliches Wunderland“. Alice bzw. New Horizons wird noch von mancher Überraschung berichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2015)

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