Biologie: Wozu mampfen Schimpansen Ton?

(c) Anne Schel
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Wie viele andere praktizieren unsere Cousins Geophagie. Eine Gruppe tut es in letzter Zeit verstärkt: Sie entgiftet damit Nahrung, auf die sie umsteigen musste.

Viele Tiere fressen Erde, Menschen stopfen sie bisweilen auch in sich hinein, „an einem Tag 3/4 bis 4/5 Pfund“, wunderte sich Alexander von Humboldt 1800 am Orinoco: „Die indianischen Weiber fahren mit großen Portionen zum Munde.“ Humboldt vermutete, es sei ein Behelf, das kannte er aus Europa, dort griffen in Hungersnöten viele zur Erde, mancherorts werden Arme noch als „Erdesser“ beschimpft.

Später im 19. Jahrhundert setzte man eher darauf, dass Geophagie irgendwelche medizinischen Funktionen hat, dann geriet alles ins Vergessen, erst in den 1990er-Jahren fiel dem Universaltalent Jared Diamond in Papua-Neuguinea auf, dass Papageien Erde naschen. Sie tun es zur Entgiftung von Früchten. Ähnliches fand sich quer durch die Tierwelt, von früchtefressenden Fledermäusen bis zu Schimpansen, etwa jene im Kibale-Park in Uganda. Ihre Artgenossen im Budongo-Wald, auch in Uganda, tun es nicht, sie fressen nur ganz besondere Erde, Ton. Dass Schimpansen von Region zu Region andere Sitten und Kulturen haben, ist auch noch nichts Besonderes, aber an den Schimpansen in Budongo, deren Leben seit 1990 exakt beobachtet wird, fiel den Forschern um 2005 etwas auf: Die verzehrten Mengen an Ton nahmen stark zu.

Schwämme aus Blättern

Und zwar besonders die in einer Variante verzehrten Mengen: Die Budongo-Schimpansen greifen nicht nur einfach zu, sie holen auch tonhaltiges Wasser aus Wasserlöchern, und auch das tun sie nicht nur mit den Händen. Sondern auch mit Blättern: Diese kauen sie durch, dann nutzen sie sie als Schwamm, tunken sie in das Wasser und kauen sie dann wieder durch. Vor allem diese Variante kam nun mehr in Gebrauch.

Warum? Vernon Reynolds (Oxford) hatte eine Spur: Um die Jahrtausendwende herum rotteten Bauern eine Palme fast vollständig aus – sie brauchten ihre Fasern –, von der die Schimpansen früher gefressen hatten. Ersetzt der Ton deren nun fehlende Nährstoffe, vor allem Kalium? Nein, der Ton ist extrem kaliumarm. Offenbar geht es wieder ums Entgiften, diesmal von Pflanzen, denen sich die Schimpansen zuwandten, als die Palmen verschwanden. Und offenbar ist die Mischung aus Ton und Blattmaterial optimal (Plos One 28.7.).

Der Ton allein wirkt auch, ihn machen sich die Menschen in der Region zunutze, sie essen ihn bei Diarrhö. Auch in Industrieländern ist Ton zum „Entgiften“ beliebt, aber die britischen Behörden haben gerade vor dem oft hohen Gehalt an Arsen und Blei gewarnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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