35.000 Jahre: Die älteste Venus ist Deutsche

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venus(c) conard/nature
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In der Schwäbischen Alb wurde eine über 35.000 Jahre alte Figurine gefunden. Ihre Körperfülle stellt Rätsel, ihr Schöpfer auch: War es ein Neandertaler? Die Venus von Willendorf ist mindestens 10.000 Jahre jünger.

Sie „üppig“ zu nennen wäre eine Ehrabschneidung, sie ist nicht üppig, sie ist fett, extrem fett, sie, die jüngste Sensation aus der Höhle „Hohle Fels“ in der Schwäbischen Alb: eine Venus aus Mammut-Elfenbein, 35.000 Jahre alt, vielleicht gar 40.000 – in jedem Fall die bisher älteste Figurine –, sechs Zentimeter hoch und nicht viel weniger breit und tief, ausladende Brüste, schwellender Bauch, Schenkel wie Sumoringer (Nature, 459, S.248). Sie aktualisiert einmal mehr die Frage, wann und wo die Kunst entstanden ist und wem – welchem Menschen – sie zu verdanken ist.

Kunst galt lange als Privileg des (a)Homo sapiens in (b)Europa, er schuf vor etwa 30.000 Jahren die ersten Höhlenmalereien und Figurinen, so nahmen es lange Zeit die die – meist europäischen – Anthropologen wahr. Wahr war es nicht, das zeigte sich in den letzten Jahren: Kunst entstand dort, wo auch der Mensch entstand, in Afrika, vor 110.000 Jahren wurden in Nordafrika Häuser von Meeresschnecken zu Schmuck verarbeitet, vor 77.000 Jahren geschah das Gleiche in Südafrika, dort fanden sich auch Ockerstücke mit eingravierten Mustern. Aber ob sie Kunstgegenstände waren, ist umstritten, und der Schmuck gilt vielen als keine allzu große Leistung: Man musste schließlich nur ein Loch in die Schneckenhäuser bohren und einen Faden durchziehen.

Explosion der Symbole

Deshalb wollen manche die echte Kunst doch den Europäern reservieren, etwa Paul Mellars (Stony Brook University), der die Venus-Figurinen im Allgemeinen als „Geburtsstätte der wahren Skulptur“ und den neuen Fund im Besonderen als Beleg einer „Explosion der Symbole“ nimmt (Nature, 459, S.176). Diese Explosion wurde vor allem in Höhlen der Schwäbischen Alb betrieben, in der ganze Künstlerkolonien gehaust haben müssen, ihre Kreationen werden seit Jahren von Tübinger Urgeschichtlern um Nicholas Conard gehoben: Darunter war das älteste Musikinstrument – eine 35.000Jahre alte Flöte aus Schwanenknochen –, darunter waren viele Elfenbeinskulpturen von Tieren.

Nicht darunter waren Fossilien der Künstler selbst. Deshalb weiß niemand, ob sie Menschen unserer Art waren – Homo sapiens – oder Neandertaler. Die Höhlen der Schwäbischen Alb wurden von beiden bewohnt, erst von Neandertalern, dann, viel später, von H.sapiens. Der tauchte in Europa vor 35.000 Jahren auf, in Rumänien, dann hatte er noch einen weiten Weg, das Donautal hinauf. Allzu rasch wird er nicht gewandert sein, er ließ sich unterwegs nieder, etwa in Willendorf in der Wachau.

Die dortige Venus ist bekannt, sie entstand vor 24.000 Jahren durch die Hand von H.sapiens. Sie ist also viel jünger – mindestens 10.000 Jahre –, aber ebenso fett. „Die historische Kontinuität der skulpturalen Objekte ist verblüffend, es ist so, als ob es seit den alten Ägyptern nichts als Picasso gegeben habe“, erklärt Christoph Zollikofer (Uni Zürich) gegenüber der „Presse“, und er hat noch mehr Anregung: „Verblüffend an den Figurinen ist ihre Fettleibigkeit. Was haben derartige Frauen in einer hypermobilen Jäger-Sammler-Gesellschaft gemacht?“

„Paradox der Fettleibigkeit“

Denn sie sahen offenbar so aus, wie sie von den Künstlern modelliert wurden. Lange betrachtete man sie als symbolisch überhöhte Fruchtbarkeitssymbole, aber 2005 fand Eric Trinkaus (Washington University) bei Analysen der Venus von Willendorf (und anderer), dass sie „anatomisch exakte Abbildungen“ sind: Die Falten im Fett sitzen exakt dort, wo Falten in fetten Körpern sitzen, diese Frauen müssen den Künstlern Modell gestanden sein (Anthropologie, XLIII/2, S.101). Das brachte das „Paradox der Fettleibigkeit“: Die Menschen jener Zeit bewegten sich viel und lebten nicht im Überfluss, sondern oft in Not: Haben sie einzelne Frauen ihrer Clans, Schamaninnen vielleicht, nach Art der Bienenköniginnen aufgepäppelt? Oder haben sich alle in guten Zeiten vollgestopft?

Man weiß es nicht, man weiß auch nicht, wann H.sapiens auf der Schwäbischen Alb ankam. „Man kann die Hypothese, dass Neandertaler diese Kultur geschaffen haben, nicht ausschließen“, erklärt Conard, Zollikofer schließt sich an, auch Bence Viola (Uni Wien) tut es, und er hat es in der Hand bzw. im Spaten, Klarheit zu schaffen: Er leitet die Grabungen in Willendorf, er hat Spuren von frühen Siedlern gefunden – ob Neandertaler oder H.sapiens, ist noch nicht klar –, vor 42.500 Jahren waren sie da: „Wir haben aber noch keine Venus: Vielleicht heuer.“

Frühe Kulturen

Aurignacien heißt die früheste Kultur der Jungsteinzeit in Europa, sie begann vor 40.000 Jahren und ging vor 28.000 Jahren in das Gravettien über, der Unterschied zeigt sich im Steinwerkzeug. Venus-Figurinen hingegen wurden weiter gefertigt. Wer die ersten – im Aurignacien – geschaffen hat, ist unklar, möglicherweise waren es Neandertaler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2009)

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