Umgedrehte Welt im Prostatakarzinom

Österreichische Forscher zeigten, dass ein bekanntes krebsförderndes Protein bei Prostatakrebs den Tumor hemmt. Das Protein soll bald als verlässlicher Marker für aggressive Arten des Prostatakarzinoms genützt werden.

Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung österreichischer Männer. 24 Prozent aller diagnostizierten Krebsfälle betreffen die sogenannte Vorsteherdrüse. Doch diese Erkrankung hat oft kaum Konsequenzen, sie tritt meist erst ab einem Alter von 67 auf, und nur etwa zwölf Prozent aller Betroffenen sterben tatsächlich im hohen Alter an dem Tumor. Trotz verbesserter Therapien und Diagnose war allerdings bislang unklar, was diese zwölf Prozent von der harmloseren Mehrzahl der Prostatatumore unterscheidet. Österreichische Forscher haben nun eine mögliche Ursache dafür gefunden, dass manche Prostatakarzinome besonders aggressiv sind und somit zum Tod der Patienten führen können.

Tatsächlich sind die daran beteiligten Proteine, die das internationale Forscherteam um den Wiener Pathologen Lukas Kenner vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Krebsforschung, der Med-Uni Wien und Vet-Med-Uni Wien untersuchten, keine Unbekannten: Der entscheidende Faktor Stat3 ist schon lange als Onkogen, also als stark tumorfördernder Faktor, bekannt. Stat3 ist ein Protein in der Zelle, das durch äußere Signalmoleküle wie Interleukine aktiviert wird. Einmal aktiv, fördert es die Aktivität von Genen, die für Zellwachstum und Zelltod entscheidend sind. In vielen Krebsarten ist das Stat3-Protein durch eine Mutation verändert und dadurch hyperaktiv. Die Folge sind vermehrte Zellteilung und schließlich die Tumorbildung aus den betroffenen Zellen. Als die Wiener Forscher nun die Rolle des Proteins im Prostatakarzinom genauer untersuchten, fanden sie jedoch genau das umgekehrte Bild: Wurde bei Mäusen mit Prostatakrebs Stat3 entfernt, kam es zu einer rasanten Tumorentwicklung und Metastasierung. Und dieses Ergebnis gilt auch für den Menschen. Das Forscherteam fand, dass Patienten mit hohen Stat3-Werten im Tumorgewebe einen eindeutig besseren Krankheitsverlauf hatten als Patienten mit geringen Mengen.

Janusköpfigkeit

Besonders interessant sind die Erkenntnisse über die Janusköpfigkeit des Stat3, da Faktoren, die das Protein aktivieren, auch in anderen Krankheiten eine Rolle spielen. Ein prominentes Beispiel ist Interleukin-6, das bei Rheuma vermehrt produziert wird. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass anti-entzündliche Interleukin-Hemmer nur mit Bedacht systemisch eingesetzt werden sollten. Bei lang andauernder Therapie könnte in manchen Geweben Schaden angerichtet werden“, sagt Jan Pencik, Erstautor der Studie.

Darüber hinaus soll das unerwartete Resultat so bald wie möglich diagnostisch eingesetzt werden: Stat3 könnte als Biomarker helfen, aggressive Tumore zu identifizieren. „Biomarker für aggressive Tumorerkrankungen sind ein wichtiger Teil moderner Medizin, aber es gibt bislang noch zu wenige in der klinischen Anwendung. Wenn wir mithilfe von Stat3 als Biomarker aggressive Prostatatumore verlässlich erkennen könnten, wäre das ein wichtiger klinischer Fortschritt“, so Lukas Kenner. Zusammen mit Marcus Hacker, Leiter der Klinischen Abteilung für Nuklearmedizin der Med-Uni Wien, soll eine Methode entwickelt werden, durch die das Protein mittels bildgebender Verfahren direkt nachgewiesen werden kann. Eine schmerzhafte und belastende Biopsie des Tumors wäre dann endlich überflüssig.

LEXIKON

Onkogene (wörtlich Krebsgene) sind natürliche Teile des Erbgutes, die, wenn krankhaft verändert, zu ungebremstem Tumorwachstum von Zellen führen können. Es handelt sich dabei meist um Gene, die Zellwachstum und -teilung regulieren.

Die gesunde Form des Gens, das sogenannte Protoonkogen, wird dabei durch spontane Mutation oder schädliche Einflüsse (z. B. UV-Strahlung oder chemische Substanzen) in die krebserzeugende Form verwandelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.