Auf den Spuren des Altar Q

 Altar Q
Altar QAdalberto Hernandez Vega from Copan Ruinas, Honduras/Simon Burchell/Wikipedia
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Ein Wiener Physiker übersetzte auf eigene Faust alte Maya-Inschriften. Dabei konnte er ein Stück verloren geglaubter Wissenschaftsgeschichte neu entdecken.

Der Führer ,Erste große Sonne Quetzal Papagei‘ erhält die königlichen Insignien in der Urheimat.“ Versehen ist dieser Satz mit dem Datum, nach unserer Zeitrechnung der 6. September 426. Der Stein mit dieser Inschrift stammt aus der Mayastadt Copán im heutigen Honduras.

Der Wiener Physiker Gert Sdouz hat sich vor vier Jahren einem „Selbsttest“ unterzogen. Dem Eindringen in die Welt der Maya und dem Verständnis dieser mittelamerikanischen Kultur gehörte schon seit Jahrzehnten seine Leidenschaft. Er wählte also ein gut erhaltenes Steinmonument, den sogenannten Altar Q, und begann mit der Entzifferung bzw. Übersetzung der eingemeißelten Glyphen. Der „Erste große Sonne“, mit dem der Text beginnt, war der Begründer einer Dynastie in Copán, einem der fünf bis sechs größeren Stadtstaaten der Mayas. Die Zeitrechnung der Maya ist schon seit Jahrzehnten entschlüsselt, sie setzt nach unserer Datierung 3014 v. Chr. mit dem Jahr null ein.

Denkmal für eine Herrscherdynastie

Gert Sdouz (Jg. 1950), der für den Bereich der Reaktorsicherheit am AIT in Seibersdorf arbeitete, ist nicht der erste Übersetzer des Altar Q. Aber nachdem der von ihm selbst so bezeichnete Selbsttest nach mehreren Wochen gelungen war und seine Übersetzungen mit den bisher vorliegenden Teilübersetzungen übereinstimmten, ging er den bisherigen Entdeckungen und Interpretationen des Steinquader mit seinen circa 1,5 Metern im Quadrat und 71 Zentimetern Höhe nach. Nun publizierte er eine Wissenschaftsgeschichte über den Altar Q. Mit dem Stein hatte einer der Herrscher von Copán seiner Dynastie ein Denkmal gesetzt: Auf den Seitenflächen sind er und die 15 Vorgänger seiner Dynastie, die offensichtlich von auswärts kam (deswegen auch die am Beginn zitierte Inthronisation in der „Urheimat“), abgebildet, auf der Oberfläche wird in Glyphen die Geschichte der Dynastie erzählt.

Dabei handelt es sich nur um 36 Schriftzeichen. Eine Glyphe ist eine Kombination aus der Lautschrift und mehreren Zeichen, sie kann ein Wort oder einen Begriff darstellen. So völlig entschlüsselt sind alle Glyphen der Mayakultur noch nicht, einige Geheimnisse sind auch heute vorhanden. „Für manche Glyphen gibt es mehrere Übersetzungsvarianten“, sagt Gert Sdouz. Der Name von drei bis vier der 16 Herrscher ist noch immer nicht eindeutig geklärt, obwohl auf einem anderen Stein aus Copán (der sich heute im Depot des British Museum in London befindet) ebenfalls die Namen aus dieser Dynastie verzeichnet sind.

Die erste Beschreibung des Altar Q hat der gebürtige Ire Juan Galindo 1834 vorgenommen und auch eine Bleistiftzeichnung angefertigt. Aber diese Zeichnung wurde nie publiziert und galt auch als verschollen. Das wiederum wollte Gert Sdouz nicht hinnehmen. Er forstete die großen Sammlungen der Mayakultur in den europäischen und amerikanischen Archiven und Museen durch und konnte schließlich in der französischen Nationalbibliothek einen Brief Galindos und seine Originalzeichnung entdecken.

Nun war der Forschertrieb des Wieners erst recht geweckt. Er verfolgte die Kontakte, die Galindo vor fast 200 Jahren hatte. Die Spur führte zur Brigham Young University in Provo (US-Bundesstaat Utah), wo sich letztendlich der noch nicht katalogisierte spanische Originalbericht des irischen Mayaforschers fand.

Jetzt erst hatte Sdouz die Wissenschaftsgeschichte des Mayasteins geklärt, und er konnte diese in Buchform publizieren („Altar Q – Copan, Honduras“, Verlag Berger, 2015).

Obwohl das Steinmonument bei der Durchnummerierung die Bezeichnung Altar Q erhalten hatte, dürfte es sich nicht um ein religiöses Objekt gehandelt haben. Es wird die Herrschaftsgeschichte einer Dynastie wiedergegeben, die vermutlich bei bestimmten Anlässen von Gelehrten dem Volk vorgelesen wurde. „Das Denkmal, das der 16.Herrscher der Dynastie im Jahr 776 anfertigen ließ, diente dazu, seinen Machtanspruch zu legitimieren“, sagt Sdouz.

Interesse seit Maximilian von Mexiko

In Österreich wurde im 19. Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse geweckt, auch als Folge der Regentschaft des Habsburgers Maximilian als Kaiser von Mexiko (1864–67, Bruder von Kaiser Franz Joseph I.). Heute sind vor allem Wissenschaftler aus den USA und in Europa von der Universität Bonn an der Mayaforschung beteiligt. Die führende Expertin, Linda Schele (1942–98, University of Texas), hat die erste zusammenhängende Übersetzung des Altar Q geschafft.

„Aber es gibt stets etwas Neues“, sagt der Wiener Sdouz. Denn klimabedingt werden durch starken Regen und Erdrutsche immer wieder Ruinen und selbst ganze Städte der alten Mayakultur sichtbar.

LEXIKON

Mayaforschung. Im Unterschied zu den Azteken hatten die Maya eine Schrift, die Glyphen. Die Übersetzung der Glyphenschrift gelingt, wenn auch nicht vollständig, da es von manchen Glyphen unterschiedliche Auslegungen gibt.

Stadtstaaten. Das Mayareich bestand aus mehreren Stadtstaaten, die miteinander kooperierten, sich aber auch bekämpften. Copán war ein derartiges kleines selbstständiges Gebiet. Das seit Jahrtausenden bestehende Mayareich fand erst am Ende des 15. Jahrhunderts (nachklassische Mayaperiode) mit der Ankunft der spanischen Eroberer ein Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

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