Analysen für die Megabrücke von Hongkong

A general view of the financial Central district in Hong Kong
A general view of the financial Central district in Hong KongREUTERS
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Über Brücken und einen Tunnelabschnitt sollen Hongkong und Macao erstmals direkt verbunden werden. TU-Wien-Forscher haben ein neues Simulationsverfahren für die Betonelemente im Tunnel entwickelt.

Es handelt sich voraussichtlich um das weltweit größte Bauwerk dieses Jahrzehnts – und Österreichs Forschung ist mit dabei. Im Osten der Volksrepublik China entsteht die gigantische Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke, die auf einer Länge von etwa 50 Kilometern die beiden chinesischen Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao verbindet. In Kooperation mit der Tongji University in Shanghai werden an der TU Wien im Forschungsprojekt „Bridging the Gap mittels Mehrskalenstrukturanalysen“ rechnerische Simulationsverfahren für einen Abschnitt dieses Bauwerks entwickelt.

Die Verbindung der beiden Städte besteht aus mehreren Brückenteilen und einem Tunnelabschnitt. Etwa zwölf Kilometer nach Hongkong wurde eine erste künstliche Insel errichtet. Von hier führen die Fahrbahnen in einem 6,7km langen Tunnel unter dem Meeresboden bis zu einer zweiten künstlichen Insel, dann schließt (Richtung Westen) wiederum die Autobahnbrücke an. Mit dem Tunnel soll unter anderem eine breite Zone für die Schifffahrt geschaffen werden. Die TU Wien begleitet das Bauvorhaben im Tunnelabschnitt.

Reputation der Tunnelbauer

Dass gerade Österreich in dieses Megaprojekt eingebunden ist, führt der Bautechniker an der TU Wien und frühere Präsident der Akademie der Wissenschaften, Herbert Mang, auf das internationale Renommee zurück, über das Österreich nicht zuletzt infolge der anerkannten New Austrian Tunneling Method verfügt. Bei dieser nach 1945 entwickelten Baumethode wird die Eigentragfähigkeit des Gebirges aktiviert und die Tunneloberfläche mit Spritzbeton gesichert.

Freilich ist Mang selbst nicht unbeteiligt. Er hat 1981 an einem Unido-Projekt in China mitgearbeitet und seit damals die China-Kontakte sukzessive ausgebaut. Als Emeritus an der TU Wien hat er noch bis Ende des Jahres 2018 einen Lehrstuhl an der Tongji University in Shanghai inne.

Die von Herbert Mang und den Mitarbeitern im Institut forcierten Mehrskalenanalysen zielen auf den Baustoff Beton ab. Viele Baustoffe weisen ungeachtet ihres makroskopisch homogenen Erscheinungsbilds eine inhomogene Mikrostruktur auf. Sie enthalten verschiedene Bestandteile, die sich auf einer kleinen Längenskala unterscheiden lassen. Mehrskalenanalysen erlauben die Quantifizierung des Einflusses der Mikrostruktur auf das makroskopische Verhalten der Materialien. Sie ermöglichen wirklichkeitsnahe Beschreibungen des Materialverhaltens. Da der Kollaps von Bauwerken oft eine Folge von Materialversagen ist, hängt die Qualität von Prognosen möglicher Kollapsszenarien wesentlich von der Qualität solcher Beschreibungen ab.

Im Fokus der Untersuchungen stehen 22 Meter lange Stahlbetonteile, die aneinandergereiht die 6,7km lange Tunnelröhre bilden. Grundlagen der Mehrskalenanalysen sind Homogenisierungsverfahren. Dabei werden Materialeigenschaften wie Festigkeit, Steifigkeit, Wärmeausdehnung, Wärmeleitfähigkeit, Transporteigenschaften und elektromagnetische Charakteristika aus entsprechenden Eigenschaften der einzelnen Bestandteile und aus deren geometrischer Anordnung abgeleitet.

Bei den Mehrskalenanalysen handelt es sich um die Untersuchung der Temperaturentwicklung und des Verzerrungszustands in einem Stahlbetonsegment kurz nach der Herstellung und des mechanischen Verhaltens eines Segments nach Ausbruch eines Feuers. Weiters werden das Modell eines langen Tunnelabschnitts bei Erdbebenbeanspruchung und die Verbindung zweier benachbarter Tunnelelemente untersucht.

Das Verfahren wird in einem FWF-geförderten Projekt an der TU Wien entwickelt. Herbert Mang leitet das Team am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen, dem der Leiter des Laboratoriums für makroskopische Werkstoffversuche der TU Wien, Bernhard Pichler, sowie eine Dissertantin und ein Dissertant aus Österreich und zwei chinesische Dissertanten angehören.

Mikroverhalten unter der Lupe

Die erzielten Ergebnisse werden mit Resultaten aus Versuchen verglichen, die von Angehörigen des College of Civil Engineering der Tongji University und zum geringeren Teil an der Baustelle durchgeführt werden. Dabei kann festgestellt werden, ob Verstärkungen oder Veränderungen des Baumaterials vorzunehmen sind. Bernhard Pichler: „Das Strukturverhalten eines Tunnelelements können wir auf das Mikroverhalten zurückführen.“ Das Bauwerk ist auf eine Bestandsdauer von zumindest 120Jahren ausgelegt.

Die Hongkong-Macao-Brücke ist sozusagen das Eins-zu-eins-Modell für das Forschungsprojekt. „Wir haben Zugang zu allen Daten, wir erhalten gratis alle Versuchsergebnisse“, so beschreibt Mang den immensen Vorteil für die TU Wien.

Nach der chinesischen Mentalität dauert es lang, bis ein Vertrauensverhältnis entstanden ist, dann aber sind die chinesischen Wissenschaftler hervorragende Partner. Der Erkenntnisgewinn könnte, so Mang, bei künftigen Projekten umgesetzt werden. Sozusagen als grundlagenwissenschaftlicher Beitrag zum hohen Ansehen Österreichs im Tunnelbau.

LEXIKON

Brücke und Tunnel. Hongkong und Macao, die beiden früheren Kolonien (britisch und portugiesisch), erhalten mit einer ca. 50 km langen Verbindung die längste Brücke der Welt. Im Detail handelt es sich um eine Mischform, wird das Brückenbauwerk doch durch eine 6,7 km lange Untertunnelung unter dem Mündungsdelta des Perlflusses unterbrochen bzw. ergänzt. Das Flussdelta zwischen Hongkong und Macao hat zumeist nur eine Wassertiefe von 20Metern. Bei Zhuhai ist ein Anschluss an das chinesische Festland vorgesehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

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