Religion: Vom Einzelgänger zum einzigen Gott

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Wie entstand der Monotheismus? Eine originelle Theorie: Aus dem schwierigen indischen Gott Varuna sei Zarathustras „Herr der Weisheit“ geworden.

„Es gibt keinen Gott außer Gott“, steht auf der schwarzen Flagge des IS. In Zeiten, in denen eine radikale und brutale Form des Monotheismus wütet, ist es legitim, vielleicht sogar hilfreich, sich mit dem Wesen des Eingottglaubens zu befassen. Und Fragen zu stellen: Wo, wann und wie ist der Monotheismus entstanden? Was zeichnet ihn aus? Ist er notwendigerweise aggressiver als andere Religionen?

Der Ägyptologe Jan Assmann hat Letzteres zwar nicht explizit behauptet, aber doch angedeutet. Er prägte das Wort von der „mosaischen Unterscheidung“ – zwischen dem eigenen, dem wahren Gott und den anderen, den falschen Göttern –, die eine ganz neue Form der Gewalt in die Welt gebracht habe: die Gewalt im Namen Gottes.

Zunächst hatte Assmann in seinem Buch „Moses, der Ägypter“ die Verbindungen zwischen zwei ganz gegensätzlichen Gründerfiguren interessiert: zwischen dem ägyptischen Pharao Echnaton, der um 1340 v. Chr. den Sonnengott Aton zum einzigen Gott machte und dafür von seinen Nachfolgern aus dem Gedächtnis seines Landes verbannt wurde, und Moses, dem Mann mit ägyptischem Namen, der das Volk Israel aus Ägypten geführt haben soll.

Moses, Echnaton, Zarathustra?

Im Gegensatz zu Sigmund Freud, der in seinem letzten Werk, „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“, ganz konkret Moses zum Echnaton-Schüler erklärte, behauptete Assmann nicht, dass Moses wirklich von Echnaton beeinflusst worden sei, ihm gehe es nicht um Ereignisgeschichte, sagt er, sondern um Gedächtnisgeschichte.

Ob sie beantwortbar ist oder nicht, die Frage bleibt spannend: Wann trat erstmals ein Monotheismus in die Welt? Da Moses nur durch die Bibel bezeugt ist, kann man nicht sicher sagen, ob der israelitische oder der ägyptische Monotheismus früher entstanden ist, die meisten Theologen setzen die Anfänge der „Jahwe-allein-Bewegung“ aber erst im achten, manche sogar erst im fünften Jahrhundert v. Chr. an, davor sei Jahwe, ob als Berg- oder Wüstengott, auch für die Israeliten nur einer unter mehreren gewesen.

Es gibt noch einen dritten, freilich noch schlechter datierbaren Kandidaten für den ersten Monotheismus: die Ahura-Mazda-Religion des persischen Propheten Zarathustra. Mit ihr befasst sich der Religionswissenschaftler Harald Strohm, der gemeinsam mit Assmann etwa das Buch „Orakel und Offenbarung“ herausgegeben hat.

Ahura Mazda, der Herr der Weisheit, der Schöpfer des Himmels und der Erde, sei aus einem problematischen Gott entstanden, sagt Strohm: aus dem indischen Varuna. Er ist nicht der Erste, der das annimmt, aber er zeichnet ein ausgesprochen unsympathisches Bild von Varuna: Er sei ein beleidigter, ein rächender, ein tückischer Gott, ein „glückloser und gestrenger Außenseiter“. Das vor allem im Vergleich zu seinem Zwillingsbruder, Mitra: Dieser stehe für den Tag, Varuna für die Nacht; Mitra verkörpere das Vertragsrecht, Varuna das autoritäre Recht; Mitra sei progressiv, Varuna regressiv.

Womit wir bei einem Wort wären, das ganz wesentlich für die Theorie Strohms ist. Denn er sieht die alte, im Rigveda, dem ältesten Teil der heiligen Schriften des Hinduismus, gezeichnete Religion der Inder als therapeutisches Theater, ja: als psychoanalytisches Spiel. Die Adityas genannten Götter, Söhne der Aditi, seien allesamt kleine Buben. Ihre Mythen und Riten hätten sich durchgesetzt, weil sie am besten „Resonanzen in den seelischen Schichten der frühen Kindheit erzeugten“. So repräsentiere Indra die orale Phase und der ältere Mitra die anale – die gut bewältigte, im Gegensatz zu Varuna, der „auf dem Sprung in die Welt der Wörter gescheitert“ sei. Dieses unglückliche Kind hätten die alten Inder einer mythischen „Regressionstherapie“ unterzogen, noch einmal zu Nabel und Schoß der Aditi zurückgeführt.

Aus der Kindheit ins Paradies

Zarathustra, „selbst ein Sorgenkind“, dessen Namen Strohm mit „Besitzer alter Kamele“ (statt, wie üblich, „goldfarbener Kamele“) übersetzt, habe dann diese Regression in die frühkindliche Vergangenheit in eine transzendente Zukunft projiziert, aus dem „Honigland der ersten Lebensmonate“ das Paradies gemacht. Und damit aus einer Metapher, aus einem Spielraum eine (behauptete) Realität. Varunas Einzelgängerei und Kontaktscheu habe er heiliggesprochen, und wie dieser seine glücklicheren Götterkollegen gehasst habe, so habe Zarathustra deren Priester gehasst und bekämpft. Damit sei seine auf Strafgericht und Jenseits statt aufs Diesseits gerichtete Religion zur Ursache einer neuen Form des Krieges geworden.

Hier spricht Strohm unisono mit Assmann, in seiner Kritik an der – seines Erachtens falschen – Moral des Monotheismus ist er mit Nietzsche d'accord, dessen Zarathustra ja ein Anti-Zarathustra war. „Erlöster müssten mir seine Jünger aussehen“, zitiert er Nietzsche – und seziert, ganz im Sinn der Freud'schen Religionskritik, die Zwanghaftigkeit, Sinnes- und Sexualfeindlichkeit des Monotheismus, die in Varunas neurotischem Wesen ihr Urbild habe. Beim Preis der frühkindlichen Erotik, die dieser verdrängt habe, wird Strohm geradezu kitschig: „Ohne diesen in den Urzeiten der Schöpfung angelegten Klangkörper würden alle weiblichen ,Reize‘ gewissermaßen verhallen“, schreibt er – eine Theorie, die nur für Männer gilt, die sozusagen gleich bei den Brüsten der Aditi bleiben dürfen. Nur in einer Fußnote rechtfertigt sich Strohm damit, dass deren Kinder ja auch Mädchen sein könnten . . .

So ähnelt diese Kritik am Monotheismus in einem der Freud'schen Psychoanalyse und der Ikonografie im Christentum: Sie malt Mutter und Sohn innig, die Töchter vernachlässigt sie. (Und der Vater bleibt bildlos.)

Harald Strohm, „Die Geburt des Monotheismus im alten Iran – Ahura Mazda und sein Prophet Zarathustra“
(400 S., Verlag Wilhelm Fink)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2015)

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