Kochbücher als Spiegel der Zeit

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An der Uni Salzburg baut Historikerin Marlene Ernst eine Datenbank mit Rezepten aus barocken Kochbüchern auf. Auch, um mehr über das Leben der damaligen Zeit zu erfahren.

Mit den alten Rezepten, die unsere Großmütter und Urgroßmütter handschriftlich notiert haben, ist das so eine Sache. Wenn man nicht schon an der Entzifferung der Kurrentschrift scheitert, dann kann man mit manchen Zutaten nichts mehr anfangen. Aber was ist, wenn die Handschriften nicht vor 50, sondern vor 300 oder 400 Jahren entstanden sind? Was kann man sich unter „Pämeränzen safft“ oder „Maran“ oder vorstellen? Und was ist eine „Kälberne Birn“?

Am Zentrum für Gastrosophie der Uni Salzburg sind das Fragen, die ein ganzes Team an kulinarisch begeisterten Historikern beschäftigen. Sie transkribieren handgeschriebene Kochbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert und bewahren damit viele Gerichte und deren Zubereitungsarten vor dem Vergessen. „Die alten Rezepte können auch eine Inspirationsquelle für die moderne Küche sein“, sagt Marlene Ernst. Die Historikerin baut am Zentrum für Gastrosophie eine Datenbank mit historischen Rezepten und deren Zutaten auf. Sie stammen aus alten, handgeschriebenen Kochbüchern, die oft wenig beachtet in den Archiven von Salzburger Museen und Klöstern oder auf Dachböden lagern.

Barocke Rezepte

In einer eigenen Reihe gibt das Zentrum für Gastrosophie im Mandelbaum-Verlag die Transkriptionen von Kochbüchern aus der Barockzeit heraus. Das Kochbuch der Ursulinen in Salzburg ist dabei ebenso wieder zugänglich gemacht worden wie das aus dem Jahr 1735 stammende Kochbuch der Maria Euphrosina Khumperger, einer Wirtshaustochter und Bäckermeistersgattin aus Laufen in Bayern – inklusive Glossar und einer Erklärung der verschiedenen Zutaten für die 285 Rezepte. Schließlich können moderne Köche mit der Aufforderung schitt, schwaib oder stupp wenig anfangen. Da ist die Übersetzung – schneiden, abschwemmen und anzuckern – schon hilfreich, wenn die alten Gerichte nachgekocht oder neu interpretiert werden.

Die Datenbank ist die Basis für die Dissertation von Ernst. Sie wird eine vergleichende Untersuchung durchführen. „Die Rezepte sind ja nicht nur kulinarisch interessant. Sie ermöglichen einen Blick in die Gesellschaft, veranschaulichen Handelsbeziehungen, Veränderungen der Ernährungssituation oder auch Vergleiche zwischen verschiedenen Regionen und Rückschlüsse über die Verbreitungswege von Rezepten oder Zutaten.“

Was in der Barockzeit auf den Tisch kam, mutet heute seltsam an. So wurden Biber – weil sie schwimmen können – als Fastengericht gegessen. „Verwertet wurde alles inklusive dem Biberschwanz“, weiß Ernst. Als Geflügel galten auch kleinste Singvögel. Wild, Rind, Schwein, Lamm oder Kaninchen kamen in gehobeneren Haushalten regelmäßig auf den Tisch.

Wer glaubt, die Küche des 17. oder 18. Jahrhunderts kannte nur Salz und heimische Kräuter zum Würzen, irrt. Zimt und Muskat wurden sowohl für süße als auch saure Speisen verwendet. Weil die Repräsentation im Barock wichtig war, spielten Schaugerichte eine große Rolle. Reichlich verzierte Pasteten, ganze Landschaften und Märchenszenen aus Zuckerwerk oder Gerichte wie die „Kälberne Birn“ – eine aus faschiertem Kalbfleisch geformte Birne, die durch ein Kerngehäuse aus Nelken und getrockneten Marillen echten Birnen zum Verwechseln ähnlich sieht. Das Team der Salzburger Gastrosophen hat sie längst nachgekocht – und für gut befunden.

Alles wurde verwertet

Man könne von der Küche des Barock aber nicht nur ungewöhnliche Zubereitungsarten und ungewohnte Geschmackskombinationen lernen, sagt Ernst. Das Konzept, alles zu verwerten, gewinnt heute auch in der Haubenküche wieder an Bedeutung.

Die Forscher bereiten derzeit die Edition weiterer Kochbücher vor. So wird das Halleiner Kochbuch von Carolus Robekh aus dem Jahr 1679 gerade bearbeitet. Der ehemalige Halleiner Stadtrat schenkte das handgeschriebene Kochbuch seiner Tochter zur Hochzeit. Auch ein Kochbuch des Salzburger Adelsgeschlechts der Dückher von Hasslau zu Urstein und Winckl wird gerade transkribiert. Martina Rauchenzauner und Simon Edlmayr, Kollegen von Marlene Ernst am Zentrum für Gastrosophie, bearbeiten ein Limonaden- und Sorbet-Kochbuch, das aus einem Salzburger Museum stammt.

Um die alten Handschriften zugänglich zu machen, werden die Originalseiten eingescannt und vergrößert. Dadurch wären sie leichter lesbar. Weil die Handschriften neben den oft rätselhaften Zutaten – „Pämeränzen safft“ ist übrigens Orangensaft, „Maran“ ist Majoran – die größte Herausforderung für die Forscher darstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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