Tief Luft holen, Gefiederte!

NICARAGUA ANIMALS IGUANA
NICARAGUA ANIMALS IGUANAEPA
  • Drucken

Jedes Tier braucht den Hauch des Lebens, viele holen ihn mit der Lunge. Bisher galten Vögel als Meister dieses Organs, aber Reptilien atmen wie sie.

Wenn eine Schmeißfliege loszieht, dann kommt sie auf Touren, ihre Stoffwechselrate steigt auf das Hundertfache und kann sich eine halbe Stunde dort halten, das braucht Energie, deshalb holt die Schmeißfliege tief Luft, wieder und wieder. Was? Insekten holen überhaupt keine Luft, sie atmen nicht aktiv, lassen sich passiv durchströmen, durch Röhren: Tracheen! Deshalb bleiben sie auch so klein, heute sind die Herkuleskäfer mit ihren 17 Zentimetern die Giganten, vor 300 Millionen Jahren, am Ende des Karbon, war das anders, da jagten falkengroße Libellen – mit 75 Zentimetern Flügelspannweite –, möglich war das, weil die Luft 30 Prozent Sauerstoff enthielt, heute sind es 21.

Der Sauerstoff muss in jede Zelle, das limitiert die Größe, die stört uns auch an den Schmeißfliegen nicht, es geht um ihr Verhalten und Gesumme. Exakt dafür holen sie Luft, sie pumpen sie mit jedem Flügelschlag durch die Tracheen, Lutz Wasserthal (Nürnberg) hat es gezeigt, mit Detektoren an den Spirakeln, den Ein- und Auslässen der Tracheen: Er hat die einströmende Luft mit ihrem Sauerstoff gemessen und die ausströmende mit ihrem Kohlendioxid, um diese Gase geht es beim Atmen, sie werden gegeneinander ausgetauscht. Das geschieht bei der Schmeißfliege direkt dort, wo Energie verbraucht wird, in den Flugmuskeln, die pumpen sich ihren Treibstoff selbst herbei (Journal of Experimental Biology 218, S.2201).

Damit kommen die Fliegen auf Touren, größer werden sie doch nicht, dazu braucht es spezialisierte Organe für den Gasaustausch (und ein Transportsystem im Körper, den Blutkreislauf). Die entwickelten erst die Fische, und zwar gleich zwei: erst Kiemen – die holen Sauerstoff aus Wasser –, bald auch Lungen, die holen ihn aus der Luft, die Fische schluckten sie zunächst, das kannten sie vom Fressen. Manche hatten beide Varianten, die meisten gaben die Lungen wieder auf bzw. bauten sie um, zu Schwimmblasen, mit denen sie ihr spezifisches Gewicht dem des Wassers anpassen bzw. für Auftrieb sorgen. Andere blieben bei Lungen.

Unter denen waren jene, die vor 375 Millionen Jahren ans Land stiegen, Kiemen waren nutzlos, sie müssen feucht gehalten werden. Lungen kam die üppige Luft gerade recht, mit ihnen unternehmen heute noch Lungenfische weite Wanderungen, und einen von ihnen, Polypterus senegalus, hat Emily Stunden (Ottawa) acht Monate im Labor gehalten, in zwei Gruppen, die einen im Wasser, die anderen auf dem Land. Die kamen gut zurecht, passten sich an – zogen etwa die Flossen enger an den Leib, um sie besser als Stützen zu nutzen –, zeigten generell hohe „phänotypische Plastizität“. Was sich bewährte, wurde irgendwann genetisch fixiert, am Ende waren die Erben der Fische da, die Vierbeiner (Nature 54, S.513).


Muskel im Dunkeln. Und wie ging es weiter mit der Lunge? Unser Typ kam erst mit den Säugetieren: ein weit verzweigtes Röhrensystem, an dessen engen Enden die Gase ausgetauscht werden. Erst wird Luft hereingesaugt, dann wird sie hinausgepumpt, dabei hilft ein eigenes Organ, das Zwerchfell. Das ist ein Muskel, der seine Arbeit in einem achtzigjährigen Menschenleben etwa ein halbe Milliarde Mal verrichtet, ganz im Dunkeln, auch für die Forschung, eben erst hat Gabrielle Kardon (Utah) an Mäusen die Entwicklung im Embryo rekonstruiert (Nature Genetics 25.3.).

Aber Atem braucht nicht nur große Kraft, er braucht auch feine Steuerung: Allerorten im Körper sitzen Sensoren, die „das Blut schmecken“, so wurde es 1926 formuliert, die Mechanismen zeigen sich erst langsam im Detail: In der Halsschlagader wird Sauerstoff überwacht, vom Glomus caroticum. Der misst mit einem Enzym und setzt je nach Befund unterschiedliche Molekülkaskaden in Gang (Science Signaling 8, S.373); anderswo achten andere Chemosensoren auf das CO2 (Science 348, S.1255), die Informationen laufen an den Vagusnerv und in ihm zur Lunge.

Das Ganze ist ein Wunderwerk. Aber es ist nichts im Vergleich mit dem der Vögel. Auch die brauchen viel Sauerstoff, um ihre Körper warm zu halten, aber ihr Energiebedarf ist höher als der der Säugetiere, keine Art der Fortbewegung kostet so viel wie das Fliegen. Deshalb haben die Vögel die Lungen radikal umgebaut: In denen geht die Luft nicht hin und her wie bei uns, in denen strömt sie durch, beim Ein- und Ausatmen in immer die gleiche Richtung.

So würde auch ein Ingenieur konstruieren, urteilt John West (UC San Diego), er kennt sich als Arzt mit Lungen aus, bietet dem medizinischen Laien aber ein vertrauteres Bild: Gasaustausch kann man sich vorstellen wie Wärmeaustausch, etwa am Autokühler: Da wird das heiße Öl im Inneren von kaltem Wasser außen umflossen, in immer der gleichen Richtung. Alles andere wäre viel zu anfällig, ein Hin und Her des Kühlwassers brächte den Röhren hohe Belastungen. Die Wände müssten verstärkt werden, das würde den Wärmeaustausch reduzieren. Kurz, und zurück zum Atmen: „The human lung: did evolution get it wrong?“

Das fragt West, es ist rhetorisch bzw. beantwortet sich so: „Die Vogellunge ist überlegen.“ (European Respiratory Journal 29, S.11) Ja. Aber: Nicht nur Vögel haben solche logischen Lungen, auch manche Reptilien haben sie, Colleen Farmer (Utah) hat das schon an Alligatoren und Waranen bemerkt, es könnte sich um konvergente Evolution gehandelt haben, das Finden gleicher Lösungen für gleiche Probleme: Auch Alligatoren und Warane brauchen kurzzeitig viel Energie, bei der Jagd. Grüne Leguane hingegen lassen es gemächlich angehen, sie fressen Pflanzen. Und doch haben auch sie Lungen wie Vögel, Farmer hat es mit eigenen Augen gesehen, mit Bühnennebel und Endoskoppen in Leguanlungen, Atemforscher sind erfinderisch (Pnas 111, S.17218).

Die Natur ist es noch mehr, aber wozu solche Lungen bei Reptilien? „Seit Jahren glaubt man, dass dieses Design den Energiebedarf des Fliegens deckt. Das ist ganz falsch“, konstatiert Farmer trocken: „Leguane fliegen nicht.“ Warmes Blut haben sie auch nicht. Zudem waren Reptilien lang vor Vögeln da, vor Säugern auch, diese entwickelten sich aus ihnen und gaben die Patentlunge auf. Wozu das wieder? Da wird noch viel Bühnennebel lichten müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.