Medizin: Sexunlust weckt Lust auf Geld

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Das Medikament Flibanserin, das Frauen mit geringem Verlangen nach Sex kurieren soll, ist erst auf einem weiten und gewundenen Weg zum Medikament geworden.

Fast so undurchschaubar wie das Geschehen an den Börsen und in den Retorten der Pharmaindustrie ist das Gefühlsleben, vor allem das der Frauen: Bei denen gilt seit 1980 als Krankheit, wenn sie eher gedämpfte Lust auf Sex haben: Damals führte Helen Kaplan das Verlangen („desire“) in die psychologische Theorie und Praxis ein, zuvor hatte Sex mit „Erregung“ angehoben („excitement“, „arousal“). Nun begann er eine Stufe früher, das ging auch in die „Bibel“ der Psychotherapie ein, das „Diagnostic Manual of Mental Disorders“, kurz DSM.

Das gibt es seit 1950, es wird periodisch überarbeitet, in der 3.Auflage, 1980, tauchte die Krankheit ISD („Inhibited Sexual Desire“) auf, sie wurde später zur „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ (HSDD) und ist definiert als „dauerhafter oder wiederkehrender Mangel an (oder Abwesenheit von) sexuellen Fantasien und Verlangen nach sexueller Aktivität“. Neue Leiden kommen auf zwei Wegen ins DSM: Entweder sie wurden entdeckt – oder es wurden Kuren entdeckt, zu denen Leiden noch fehlen. Das wurde oft kritisiert, etwa von Raymond Maynihan: „The making of of sexual disease: female sexual dysfunction“ stand 2003 im hochrangigen British Medical Journal(326, S.45),der Text ergänzte, dass 56 Prozent der Beiräte des DSM finanzielle Beziehungen zur Pharmaindustrie haben.

Zentraler Spieler: Serotonin

Die entwickelt vieles, manches wirkt nicht wie erwünscht, sondern überraschend anders: So kam etwa Viagra in die Welt, es sollte den Blutdruck regulieren, das tat es nicht, aber es erhöhte die Durchblutung des Sexualorgans des Mannes. Das tat es auch bei Frauen, man hat es getestet, ihre Lust wurde nicht gesteigert. Dafür soll nun im Hirn gesorgt werden, durch die Lustpille Flibanserin, auch sie galt etwas ganz anderem, der Schwermut. Viele Antidepressiva setzten beim Neurotransmitter Serotonin an, er gilt als „Glückshormon“, seine Konzentration soll erhöht werden. Ob das hilft, ist umstritten, klarer ist eine Nebenwirkung: Serotonin dämpft die Lust auf Sex.

Umso größer die Überraschung beim Medikamentenentwickler Boehringer Ingelheim, als sich in Tests zeigte, dass das Mittel bei Depression nicht half, aber manchen Probandinnen mehr Lust beim Sex bescherte. Boehringer sattelte um und stellte bei der US-Behörde FDA 2009 den Antrag auf Zulassung von Flibanserin für HSDD. Die zuständige Kommission – das FDA achtet streng darauf, dass kein Mitglied Verbindungen zur Industrie hat – lehnte 2010 ab: Das Mittel steigere zwar die Lust beimSex, aber nicht die zumSex, den Anwendungszweck.

Zudem war die Liste der Nebenwirkungen lang, Boehringer gab auf und die Rechte an Sprout, eine Firma, die eigens zur Weiterentwicklung des Mittels gegründet worden war. Die machte neue Tests und stellte 2013 einen neuen Antrag: Abgelehnt. 2014 kam der nächste, er enthielt neue Daten – Flibanserin steigerte den monatlichen befriedigenden Sex von 2,4 auf 4,9 Mal, ein Placebo brachte nur plus 3,9 –, und er kam mit Begleitmusik: Sprout zog die Kampagne „Even The Score“ auf, die forderte gleiche Rechte für Frauen auch bei der Lust, für Männer gebe es 26 Potenzförderer, für Frauen keinen. US-Frauenverbände zogen mit, auch Parlamentarier wandten sich ans FDA, am 18.August wurde genehmigt, mit 18 gegen sechs Stimmen.

Und mit einem höchst untypischen Kernsatz und vielen Kautelen: Im Kern ging es darum, dass Flibanserin das Serotonin sowohl hebt als auch senkt, auf unterschiedlichen Wegen: „Der Wirkmechanismus ist unbekannt.“ Unerwünschte Wirkungen hingegen sind genug bekannt: Anders als Viagra kann Flibanserin nicht bei Bedarf genommen werden, es muss täglich ins Gehirn. Wegen der Nebenwirkungen, die von Schwindel bis Ohnmacht reichen, empfiehlt die FDA die Einnahme vor dem Einschlafen.

Und sie rät streng von Alkohol ab, keine Lusteröffnung also durch ein Candle-Light-Dinner etwa. Die Pille soll es trotzdem richten, darauf vertraut die kanadische Pharmafirma Valeant: Nach der Zulassung kaufte sie das 36-Mitarbeiter-Unternehmen Sprout für eine Milliarde Dollar. Die Lust ihrer Aktionäre hob das nicht, der Kurs von Valeant sank anderntags um sechs Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)

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