Noch eine Hirnkrankheit durch Prionen

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Die Multisystematrophie, die in vielem dem Morbus Parkinson ähnlich ist, wird durch kranke Proteine verursacht. Das hat Stanley Prusiner bemerkt, der solche Krankheitserreger schon 1982 postulierte.

„Das erste Zeichen ist genereller Schwachsinn, es folgen Schwäche und die Unfähigkeit zu stehen, dann heftiges Zittern“, dann, nach Wochen bis Monaten, der Tod. Die Beschreibung stammt aus den Fünfzigerjahren von Papua-Neuguinea, dort starben Mitte des 20. Jahrhunderts 3000 der 30.000 indigenen Fore an der so schauerlichen wie rätselhaften Krankheit. Man fand einen Namen – „Kuru“, in der Sprache der Fore bedeutet das „Zittern“ –, einen Erreger fand man nicht.

Aber es musste einen geben, denn man fand den Übertragungsweg: Die Fore verzehren aus rituellen Gründen die Gehirne Verstorbener, so kam das Leiden in ihre Gehirne, er zerfraß sie zu Schwämmen. 1959 erinnerte William Hadlow (Rocky Mountain Laboratory of the National Institute of Allergy and Infectious Diseases) daran, dass es bei Schafen eine ganz ähnliche Krankheit gibt, Scrapie, auch dort kannte man den Erreger nicht, man suchte nach Viren, man suchte nach Bakterien, man fand nichts.

1982 kam Stanley Prusiner (UC San Francisco) mit einer ganz neuen Idee, er war an Studien an Scrapie auf sie verfallen: Es gebe auch Krankheitserreger ganz ohne Leben und DNA: Proteine, die sich falsch falten und diesen Fehler weitergeben. Prusiner nannte seine Hypothese „protein only“, und die Erreger nannte er Prionen, proteinaceaus infectious particles, er unterschied das richtige gefaltete PrPc (Prion Protein cellular) und die Fehlfaltung PrPsc (Prion Protein Scrapie).

Kuru, Rinderwahn, Creutzfeldt-Jakob

Die Zunft schüttelte den Kopf, aber 1997 erhielt Prusiner den Nobelpreis: Prionen gab es, Anfang der Neunzigerjahre hatten sie Schrecken verbreitet, vor allem in England: Zunächst starben Kühe an einer rätselhaften Krankheit – „mad cow disease“, Rinderwahn –, dann griff das Leiden auf Menschen über: Creutzfeldt-Jakob, tödlich und unheilbar wie Kuru. Aber es wurde auch eingedämmt wie Kuru: Man merkte, dass der Rinderwahn sich mit dem Futter verbreitete – Rinder wurden partiell mit Schlachtabfällen von anderen Rindern gefüttert, auch Gehirn –, und dass er mit dem Verzehr von Rind auf Menschen kam. Man verbot das tierische Tierfutter.

Creutzfeldt-Jakob verschwand – außer wenigen, genetisch bedingten Fällen –, aber die Zahl der Alterskrankheiten des Gehirns nahm zu, Parkinson und Alzheimer wurden die neuen Schreckenswörter. Bei ihnen werden Gehirne nicht zu Schwämmen zerfressen wie bei Kuru und Creutzfeldt-Jakob, aber es bilden sich in ihnen ähnliche Ablagerungen. Und man kennt, trotz intensiven Forschens, die Ursachen dieser Leiden nicht, deshalb gibt es auch keine ursächlichen Therapien, bei Alzheimer überhaupt keine.

Deshalb kam der Verdacht, dass wieder Prionen im Spiel sind, es gab entsprechende Meldungen bei Alzheimer, sie waren falsch. Aber vor zwei Jahren bemerkte Prusiner an zwei Patienten mit Multisystematrophie (MSA) – das Leiden ähnelt Parkinson, es ist seltener und führt rascher zum Tod – Prionen, nicht die von Scrapie, sondern die eines anderen Proteins, α-synuclein. Zwei Patienten sind wenig, Prusiner hat nun Hirnproben von 14 MSA- und neun Parkinson-Opfern getestet, an Mäusen: Denen spritzte er verdächtige Hirnzellen in die Gehirne.

Bei MSA erkrankten die Mäuse, es ist eine Prionenkrankheit. Bei Parkinson geschah nichts, das schließt nicht aus, dass Prionen mitspielen und man nur die richtigen Proteine noch nicht kennt (Pnas 31. 8.). MSA wird nicht von Menschen auf Menschen übertragen, außer vielleicht in einem Fall, bei dem Prusiner zu dringender Vorsicht rät: Bei MSA und Parkinson greift die Medizin oft mit Elektroden ins Gehirn ein. Die dürfen keinesfalls wiederverwendet werden, Prionen überleben herkömmliche Sterilisierverfahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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