Altern: Der Geist bleibt länger willig

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Was die Kognition angeht, ist die Generation 50 plus fitter als ihre Altersgenossen vor wenigen Jahren. Aber körperlich fühlt sie sich weniger rüstig.

Wird die Menschheit immer klüger oder verblödet sie vor ihren elektronischen Zauberkästen? In jedem Fall wird sie immer älter – jeder Zweite, der heute in einem reichen Land geboren wird, kann mit gesegneten 100 Jahren rechnen –, sie bleibt auch länger fit. Geht es schließlich doch abwärts, dann bei Körper und Geist parallel, das ist Gemeingut, und es zeigt sich auch an vielen Individuen. Ob es sich auch bei Populationen so verhält, ist erstaunlich wenig geklärt, es gibt kaum Studien. Nadia Steiber vom Wittgenstein Center for Demography and Global Human Capital in Wien hat nun gleich zwei vorgelegt. Sie hat das Ergehen von 50- bis 90-Jährigen in England und Deutschland getestet und abgefragt, zwei Mal, 2006 und 2012, die Altersgruppen waren gleich, die Individuen waren es nicht.

Abgefragt wurde die körperliche Rüstigkeit, die Probanden schätzten sie selbst ein. Wie rege ihr Geist ist, wurde hingegen getestet, auf einem PC mussten Symbole und Zahlen zugeordnet werden, es ging um die Geschwindigkeit der Reaktion. Die brachte die erste Überraschung: Im Jahr 2012 reagierten Menschen in einem Alter x so rasch, wie anno 2006 Menschen reagiert hatten, die vier bis acht Jahre jünger waren. Der Titel einer der Studien formuliert es so: „Smarter every day: The deceleration of population ageing in terms of cognition“ (Intelligence 52, S. 90).

Steiber vermutet dahinter den „Flynn-Effekt“: Seit den 1930er-Jahren stieg in Industrienationen der IQ pro Jahrzehnt um drei Punkte, man benannte das Phänomen nach seinem Entdecker und führt es auf Bildung, Ernährung und Massenmedien zurück. Steiber sieht außerdem die vordringende Informations- und Kommunikationstechnik am Werk: Schon wer auf ein Gerät zugreifen will, muss sich an das Passwort erinnern, und das Hantieren damit erfordert dann auch Konzentration.

Technik fordert Hirn und lähmt Leib

„Das Leben ist kognitiv anspruchsvoller geworden, seit auch ältere Menschen diese Technologien benutzen und Menschen länger intellektuell anspruchsvolle Arbeiten verrichten“, schließt Steiber. Aber damit ist sie noch nicht am Ende: „Gleichzeitig sehen wir einen Rückgang körperlicher Aktivität und eine steigende Fettleibigkeit.“ Die bringen die zweite Überraschung der Studien: Ihr körperliches Wohlergehen schätzten Probanden von 2012 als schlechter ein als ihre Altersgenossen 2006, und das, obwohl auch von 2006 bis 2012 die Lebenserwartung gestiegen ist, die Gesundheit objektiv also besser sein muss. Anders als bei der Kognition, bei der (im Durchschnitt) alle fitter wurden als die Vergleichbares es sechs Jahre zuvor waren, ist das Bild bei der Selbstwahrnehmung der körperlichen Befindlichkeit komplex: Vor allem die „jüngeren Alten“, die zwischen 50 und 64, und unter ihnen die Männer, und unter ihnen wieder die mit geringerem Bildungsgrad, fühlen sich nicht so rüstig wie die Vergleichbaren einst. Aber mit dem Alter legt sich das.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2015)

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