Die Intelligenz der Dinge entwickelt sich

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Themenbild(c) Clemens Fabry
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Elektrotechnik. Das Hemd in die Waschmaschine legen, und beide kommunizieren miteinander? In einigen Jahren ist das vielleicht alltäglich. An Smart Labels, die dies möglich machen können, wird an der Uni Linz intensiv geforscht.

Um die Entwicklung zu verstehen, muss man die Zeit zurückdrehen: 1998 liefen der Äthiopier Moges Taye und die aus Russland stammende Französin Irina Kazakova bei den Frauen beim Vienna City Marathon als Erste über die Ziellinie. Dieser Moment wurde zeitgleich auf einem Serversystem, das sich damals an der Uni Wien, heute jedoch am Institut für Pervasive Computing an der Uni Linz befindet, registriert.

Auf den Laufschuhen aller Teilnehmer wurde ein RFID-Transponder angebracht, der diese zu einem „Smart Thing“ machte. Jeder Startnummer wurde eine RFID-Nummer zugeordnet, und binnen Millisekunden das Laufergebnis per SMS versandt. „Damals war unsere technologische Lösung weltweit die erste dieser Art“, sagt Alois Ferscha, Leiter des Instituts für Pervasive Computing in Linz.

Dem ging eine Vision voraus: Nicht nur Menschen, sondern auch Dinge könnten via Internet kommunizieren. Zur Illustration seiner Idee entwickelte Ferscha 1999 ein Koffersystem: Er wollte zeigen, dass ein Koffer genauso wie die darin enthaltenen Gebrauchsgegenstände eine Internetpräsenz haben. Dafür heftete er allem einen RFID-Chip an, der deutlich kleiner war als der Laufschuh-Chip, jedoch nach demselben Prinzip funktionierte.

Legte man ein Hemd in den Koffer, erschien auf dessen Website die Meldung „Enthält Hemd“, und auf der des Hemdes: „Bin im Koffer.“ Was damals noch als Science Fiction belächelt wurde, war möglicherweise das erste Cyber-Physical System, lange bevor der Begriff geboren wurde, und ist die Basis für die Entwicklung des Smart Label.

Produkte lernen zu „denken“

„Der Smart Label, wie wir ihn entwickeln, soll aufklebbar sein wie ein Preisschild und nicht nur eine Identifikationsnummer, sondern auch einen Minicomputer mit integrierter Sensorik enthalten“, erklärt Ferscha. Der Smart Label soll im Unterschied zu Preisschildern mit Strichcode auch ohne Sichtkontakt lesbar, also „funk-fernauslesbar“, sein. So soll jedes Produkt der Warenwirtschaft durch das Anbringen des Smart Label quasi „intelligent“ werden. Jedes Objekt könnte dann eine Selbstbeschreibung mitführen, sich selbst organisieren und verwalten – und mit anderen Objekten, wie der umgebenden Verpackung, dem transportierenden Lkw oder dem präsentierenden Verkaufsregal kommunizieren.

Von zentraler Bedeutung sind verschiedene Sensoren: Bereits seit 2004, also noch bevor es den Begriff Cyber-Physical System offiziell gab, forscht Ferscha, Gründer des Research Institute for Pervasive Computing (RIPE) und des Research Studio for Pervasive Computing Applications, an Smart Labels. Der Prototyp, den er heuer beim Europäischen Forum Alpbach präsentierte, enthält etwa Positionssensoren, mit denen sich das Produkt selbst verorten kann und via Beschleunigungssensoren erfasst, ob es in Bewegung ist. Temperatursensoren sind wiederum für den Transport von Tiefkühlprodukten vorteilhaft.

Warum sollen Smart Labels in Zukunft jedoch Barcodes ersetzen? Aus Sicht der Logistikbranche traten rund um den globalen Warentransport in den vergangenen Jahren nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische und soziale Defizite ans Licht. Um Probleme wie das der Leertransporte zu lösen, wurde zunächst auf technischer Seite der „π-Container“ entwickelt. Dabei handelt es sich um einen modularen Container: Die normierte Box ist so klein skaliert, dass sie das Objekt noch umspannt.

Die Informatikforscher verbanden für diese Problemlösung die Trends zur Miniaturisierung und Globalisierung der Kommunikation via Internet in Network Embedded Systems.

Physisches wird vernetzt

Da physische Objekte immer mehr Elektronik enthalten, lassen sie sich mit einer virtuellen Repräsentation wie beim Koffersystem von Ferscha verknüpfen. Etwas, das Kevin Ashton 1999 – fast zeitgleich – als Internet der Dinge bezeichnete. Zunehmend interessierte sich dafür auch die Logistikbranche.

Vor wenigen Jahren entwickelte dann Benoit Montreuil vom Georgia Institute of Technology die Idee des Physical Internet: Auf der physischen Ebene stehen die Güter im Mittelpunkt, die im Cyberspace mit logistischen Abläufen, Zielangaben oder Produktbeschreibungen gekoppelt werden. In der Folge verfasste die Physical Internet Initiative vor drei Jahren das „Physical Internet Manifesto“ und stieß damit eine Entwicklung an, die die Logistik grundlegend verändern könnte.

Ferscha erklärt: „Das Physical Internet ist nur eine Instanz eines cyber-physischen Systems: das der cyber-physischen Produkte. Darunter kann man Wirtschaftsgüter verstehen, die durch eingebettete, miniaturisierte Elektronik zu ihrer Datenrepräsentation im Internet verlinkt sind. Jedem Produkt ist auf diese Art eine beliebig komplexe, programmierte Intelligenz zuordenbar.“ Das erinnert an das Beispiel vom Vienna City Marathon. Denn was mit dem RFID-Transponder bei Ferschas Koffersystem begann und kurz darauf beim Vienna City Marathon erstmals angewandt wurde, bildet heute das Fundament für den Smart Label.

Abgeschlossen ist der Prozess noch nicht. So ist etwa die Dünnheit eines Papierpreisschildes bisher unerreicht. Bis sich der Smart Label – so die Vision – auf jeden Gegenstand kleben lässt, seien noch ein paar Jahre Entwicklungsarbeit nötig. Wird er jedoch Realität, könnte sich auch unser Konsumverhalten verändern. In welche Richtung und inwiefern dann neue Fragen, etwa zu Cyber-Sicherheit auftauchen, wird die Zukunft weisen.

LEXIKON

RFID steht für „radio-frequency identification“ und ist ein Sender-Empfänger-System, um Objekte oder Personen berührungsfrei klar identifizieren zu können. Es besteht aus Transponder und Lesegerät. Der Einsatz ist vielfältig, etwa bei Mautsystemen.

Cyber-physische Systeme, kurz CPS, werden in der wissenschaftlichen Literatur als die Verschränkung der physischen mit der digitalen Welt geführt. Der Begriff entstand 2006 für die Cyber-Kommunikation von physischen (vom Menschen geschaffenen) technischen Systemen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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