„Ihr spielt wie Schwuchteln!“

Stefan Heissenberger
Stefan Heissenberger (c) Stanislav Jenis
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Porträt. Der Kultur- und Sozialanthropologe Stefan Heissenberger spielt in einem schwulen Fußballteam, um dieses Gesellschaftsphänomen auf Augenhöhe zu erforschen.

Ich komme aus einer Innsbrucker Fußballerfamilie und bin seit meinem achten Lebensjahr Fußballer“, erzählt Stefan Heissenberger. Während seines Studiums der Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien hielt er ein Referat zum Thema „Männlichkeit und Fußball in Argentinien“. Seither lässt ihn diese Forschung nicht los: Die Diplomarbeit schrieb er über Männlichkeit in österreichischen Fußballamateurteams. „Als teilnehmender Beobachter fiel mir auf, dass in Fußballvereinen das Thema Männlichkeit oft mit einer Abgrenzung gegenüber Schwulen zu tun hat“, sagt er. Diese Homophobie und abwertende Sprüche wie „Ihr spielt wie die ärgsten Schwuchteln“ oder „Das war ein schwuler Pass“ ärgerten Heissenberger zunehmend. „Und weil es zwar viele Geschichten und Fantasien über das Thema Homosexualität und Fußball gibt, aber kaum etwas Wissenschaftliches, nahm ich es als Dissertationsthema.“

Noch kein schwules Team in Österreich

Heissenberger forschte wieder als teilnehmender Beobachter: Er wollte keinen oberflächlichen Vergleich von schwulem und Heterofußball, sondern eine Ethnografie über dieses unerforschte Gesellschaftsphänomen erstellen. „Da es in Österreich keinen schwulen Fußballverein gibt, habe ich bei Vorspiel Berlin angeheuert, wo in den 1980er-Jahren das schwule Fußballteam gegründet wurde“, sagt Heissenberger. Er kannte Berlin gut aus seiner Zeit als Erasmus-Student und wollte für ein Jahr zu Forschungszwecken wieder hin. Die Vereinsleitung war einverstanden, dass ein Wissenschaftler das Team begleitet und „erforscht“. Bei den Teamkollegen war Heissenberger schnell integriert, weil sie sahen, dass er ein guter Fußballer ist und sich für sie interessierte. Inzwischen lebt der junge Tiroler schon seit drei Jahren in Berlin und wurde während seiner Forschung zum Spielertrainer befördert. Seine Dissertation schreibt er an der Uni Wien fertig – gefördert zuerst von einem DOC-Stipendium der Akademie der Wissenschaften und derzeit von einem Abschlussstipendium der Uni Wien.

Ein auffallendes Ergebnis seiner Ethnografie ist, wie ähnlich sich schwule und heteronormative Teams sind. Heissenberger: „Die Spieler von Vorspiel wollen als ,normale‘ Fußballer wahrgenommen werden, die halt auch schwul sind.“ Unterschiede sind nur Kleinigkeiten, wie etwa, dass statt der Freundin der Freund zuschauen kommt, dass Spieler die Aussage „schwuler Pass“ mit einem Augenzwinkern tätigen oder bei den sexualisierten Scherzen nicht Frauen, sondern Männer die Objekte sind.

Das Spiel mit schwulen Klischees drückt sich auch in der Namensgebung aus: Vorspiel Berlin, Manndecker Frankfurt, Streetboys München. Letztere spielen als Einzige in Deutschland im regulären Ligabetrieb in der Kreisliga. Fast jede deutsche Großstadt hat einen schwulen Verein, der sich wöchentlich zum Training trifft und zu Fußballturnieren in ganz Europa fährt, die andere schwule Vereine organisieren.

Einen Grundkonflikt der schwulen Fußballteams nennt Heissenberger „soziale Integration versus sportliche Ambition“: Einerseits will man offen für schwule und schwulenfreundliche Spieler unabhängig von ihrer Leistung sein. Andererseits wollen die Spieler aber gute Leistungen zeigen, um nicht dem Vorurteil „Schwule können nicht kicken“ zu entsprechen. Heissenberger ortet einen gesellschaftlichen Wandel in der Frage, ob schwule Spieler auch in Heterovereinen akzeptiert würden: „Die Spieler bei Vorspiel, die zuvor in Heteroteams gespielt und sich geoutet haben, haben negative, aber auch positive Erfahrungen gemacht. Durch das Coming-out von Thomas Hitzlsperger und einer generell zurückgehenden Homophobie ist Bewegung in den Diskurs gekommen. Heute wäre ein schwuler Spieler in einem Heteroteam nicht mehr undenkbar.“

ZUR PERSON

Stefan Heissenberger wurde 1982 in Innsbruck geboren und ging 2003 für das Studium der Kultur- und Sozialanthropologie nach Wien, dann mit einem Erasmus-Aufenthalt an die Humboldt-Universität nach Berlin. Dort hatte er Lehraufträge zu „Queer Anthropology“ und der „Ethnologie des Sports“. Seine Dissertation an der Uni Wien (betreut von Andre Gingrich) ist eine Ethnografie über den schwulen Fußballverein Vorspiel Berlin.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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