Man kann sich die Leber auch kaputt sitzen

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Die kaum überblickbare Liste der Leiden, die von Bewegungsmangel kommen, muss verlängert werden.

1953 fiel dem Arzt Jerry Morris an Beschäftigten in Bussen in London etwas auf: Die Fahrer hatten drei Mal so häufig Herzleiden wie die Kondukteure, die die Fahrkarten knipsten. Die gingen viel hin und her, auch auf und ab – Doppeldecker! –, die anderen saßen den ganzen Tag. Das war der einzige Unterschied, und es war nicht etwa so, dass die Kondukteure besonders rasch gingen, sie hielten sich bzw. ihre Körper nur in Bewegung, und das hielt auch ihre Herzen gesund.

Es geriet in Vergessenheit, die Lebenserwartung stieg, noch 1960 litt nur ein Prozent der US-Amerikaner unter Diabetes, 13 Prozent waren fettleibig. Heute sind es sechs bzw. 35 Prozent, und als man bemerkte, dass das mit Bewegungsmangel zu tun hat, kam in den Siebziger- und Achtzigerjahren der Fitnessboom, viele Menschen gingen regelmäßig irgendetwas trainieren. Das taten, wieder in den USA, anno 2000 so viele wie 1980. Und doch erhöhte sich im Durchschnitt die Zeit, die diese Menschen im Sitzen verbrachten – vor dem PC, vor dem TV etc. – um acht Prozent: Ausgleichssport ist nur der kleinere Teil der Wahrheit – man hat Menschen, die ihn betreiben und sonst ewig sitzen, „exercising couch potatos“ genannt –, der größere wird von schlichter Bewegung beigesteuert.

Vom Stehen gar. Ein Körper, der sitzt, hat eine Stoffwechselrate von 1.0 bis 1.5, einer, der rennt, bringt es auf acht, einer der steht, immerhin auf 2.9. Beim Stehen sind Muskeln in Aktion, das Gleichgewicht muss gehalten werden, oft wechselt man auch das Standbein. All das wirkt sich etwa auf einen besonderen Stoffwechsel aus, den des Fetts: Das wird mithilfe von Lipasen abgebaut, und die werden etwa von Muskeln produziert, aber nur, wenn sie in Bewegung sind. Sind sie es zu wenig bzw. gibt es zu wenige Lipasen, schlägt das auf das Herz.

„Unsere Sessel töten uns“

Viele Studien haben es gezeigt, etwa eine in Australien, in der Menschen, die für gewöhnlich um die 10.000 Schritte am Tag gingen, gebeten wurden, nur noch 1350 zu gehen, keine Treppen mehr zu steigen, sondern Aufzüge zu benützen etc. Nach 14 Tagen zeigten sich erste Wirkungen, die Körper konnten schlechter mit Fett und Zucker umgehen.

Das macht nicht nur dick und bringt nicht nur Diabetes und Herzleiden, auch mancher Krebs wird der Dauersesshaftigkeit zugeordnet. Und nun kommt noch etwas: In Südkorea zeigte sich bei 40.000 von 140.000 Untersuchten eine Verfettung der Leber. Die kam nicht von Giften, sondern vom Sitzen (Journal of Hepatology 15.9.). „Die Botschaft ist klar: Unsere Sessel töten uns, langsam, aber sicher“, formuliert Michael Trennel (Newcastle) in einem Begleit-Editorial. Er empfiehlt „zehntausend Schritte pro Tag“, und Zeitunglesen kann man schließlich auch im Gehen. Wem das schwerfällt, dem kann ein Schaukelstuhl helfen, selbst dessen Bewegung ist besser als keine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2015)

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