Verhalten: Auch Affen kann im Kino das Blut gefrieren

(c) FABRY Clemens
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Wenn Schimpansen eine aufregende Videoszene ein einziges Mal gesehen haben, sorgt die Erinnerung dafür, dass die Augen bei einer Wiederkehr der Szene schon auf den Thrill vorbereitet sind.

Wer je die Schlüsselszene von „Psycho“ gesehen hat oder die von „Alien“ – wie das Monster aus John Hursts Brustkorb herausbricht –, der wird die Bilder nicht mehr los, und wenn er einen der Filme irgendwann wieder sieht, wartet er schon darauf, mit einem „antizipatorischen Blick“, der schärft sich kurz vor dem grausigen Geschehen bzw. er wird geschärft, durch das Gedächtnis: Wann bricht der Alien aus dem Brustkorb, und wessen Brustkorb war es doch gleich?

Für uns ist diese Verschränkung von Erinnerung und Vor-Sicht ganz selbstverständlich. Haben andere sie auch, unsere nächsten Verwandten etwa, Schimpansen und Bonobos? Ihr Langzeitgedächtnis ist gut, man hat es in Experimenten gezeigt, in denen vor den Augen der Tiere irgendwo Futter versteckt wurde. Sie merkten es sich, auch wenn sie es nur einmal gesehen hatten. Aber in diesen Experimenten ging es um ganz Handfestes, Futter eben. Geht in die Gedächtnisse der Tiere auch etwas ein, was sie nur sehen, einmal, in einer Filmsequenz?

Fumihiro Kano (Kyoto) hat es getestet, an sechs Schimpansen und sechs Bonobos. Kano beschäftigt sich schon lang damit, wie Menschen und ihre engsten Verwandten auf andere blicken – er hat etwa bemerkt, dass Bonobos viel öfter Augenkontakt mit anderen halten als Schimpansen –, er hat zu diesem Zweck eigens ein brillenähnliches Gerät entwickelt, das die Augenbewegungen verfolgt und aufzeichnet.

Mit dem bewehrte er nun seine Probanden. Er zeigte ihnen zwei kurze Videoclips, die er selbst gedreht hatte. Im ersten war eine Wand mit zwei identischen Türen zu sehen, über einer blinkten plötzlich Warnlichter, dann öffnete sie sich, heraus kam ein Mensch in einem King-Kong-Kostüm. 24 Stunden später wurde die Vorführung wiederholt – und neun der zwölf Zuseher richteten einen antizipatorischen Blick auf die richtige Tür.

Spannung lässt das Trinken vergessen

Im zweiten Clip war der Mensch im Affenkostüm schon da, ein normal gekleideter Mensch war es auch, er griff nach einem bedrohlichen Gegenstand und richtete ihn gegen den Verkleideten. Diesen Film gab es in zwei Varianten: Die zweite wurde wieder einen Tag später vorgeführt, das bedrohliche Instrument war dieses Mal an einem anderen Ort. Dorthin blickten die Tiere nun, das Instrument war das Wichtige, nicht der Ort, an dem es einen Tag zuvor war (Current Biology 17. 9.). So halten auch wir es mit unserem gedächtnisbasierten Blick nach vorn, und noch etwas teilen unsere Cousins mit uns, darüber wunderte sich sogar der Forscher: Sie mögen Thriller auf der Leinwand. „Wir haben ihnen Saft angeboten, während die Videos liefen“, berichtet Kano, „aber manche vergaßen das Trinken und starrten nur auf die Filme.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2015)

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