Spur des Meteoriten: Nur Mondgestein ist teurer

C Koeberl
C Koeberl(c) Geologische Bundesanstalt Wien
  • Drucken

In Sibirien haben Forscher einen Meteoritenkrater angebohrt. Mit dabei war Christian Köberlvon der Uni Wien. Klimatologen erhoffen sich ein einzigartig detailliertes Archiv von 3,5 Millionen Jahren.

Vor etwa 3,5 Millionen Jahren fuhr ein Meteorit mit einem Durchmesser von etwa einem Kilometer in das nordöstlichste Sibirien und schlug einen 18 Kilometer großen Krater. Als viel später Menschen in die Region kamen, Tschuktschen, nannten sie den See im Krater den „Weißen See“ (in ihrer Sprache „Elgygytgyn“) – vermutlich deshalb, weil er neun Monate im Jahr vereist ist. Die Region ist unwirtlich, das ist ein Grund, warum es außer den Tschuktschen sonst lange niemanden hinzog; aber die Region hat auch Bodenschätze, Gold; man kommt gar nicht so einfach hin, auch wenn man will. Man muss sich nicht nur gegen die Kälte wappnen, minus 30, 35 Grad im Winter, man braucht ein dickes Fell auch gegenüber der Bürokratie.

So war Christian Köberl, Geochemiker an der Uni Wien, angenehm überrascht, als er im April mit dem Flugzeug von Wien – über zwölf Zeitzonen – nach Pewek kam, einer Hafenstadt am Nordmeer, und dort ohne größere Umstände zum Helikopter gewunken wurde, der ihn die restlichen 350 Kilometer bis zum Elgygytgyn bringen sollte: „Ich fühlte mich als VIP“, berichtet der Forscher der „Presse am Sonntag“, „als ,very important pipe‘“. Denn er hatte etwas im Gepäck, was ihm ein anderer Weitflieger zwei Tage vorher, aus Salt Lake City kommend, in Wien in die Hand gedrückt hatte: ein Ersatzteil für ein Bohrgestänge.

Auf Eis gebaut. Der zugehörige Turm stand mit seinen 75 Tonnen Gewicht seit Herbst auf dem Eis des Sees, es war von Natur aus 1,5 Meter dick. Den russischen Eisingenieuren war das nicht genug, sie bohrten Löcher, ließen Wasser heraufsprudeln und es gefrieren, bis es eine Dicke von zwei Metern hatte. Dann konnte aufgebaut werden, was aus den USA über Wladiwostok und Pewek per Schiff und dann mit Bulldozern weitertransportiert worden war, alles, was man für eine tiefe Bohrung braucht. „Man“ ist in diesem Fall ein internationales und multidisziplinäres Team aus Paläoklimatologen – und Köberl, einem Spezialisten für „Impakte“, Einschläge aus dem All. Er allein hätte, trotz FWF-Förderung, das Geld für das Projekt nie aufbringen können – veranschlagt waren fünf Millionen Dollar, es wurden zehn –, aber Klimatologen können aus dem Vollen schöpfen. Der See verspricht ihnen auch viel: „Impakte sind die besten Sedimentfallen, sie sind sehr tief und frieren auch bei tiefsten Temperaturen – minus 30, 35 Grad wie am See mit dem unaussprechlichen Namen – nie durch“, erklärt Köberl.

Begonnen hatten die großen Bohrungen Mitte März. Erst ging es nur durch Wasser – der See ist 170 Meter tief –, dann kam Sediment, 312 Meter, dann die „Impaktschicht“, das vom Einschlag geschockte, zertrümmerte und geschmolzene Gestein. Dort gab es das Problem mit dem Bohrgestänge, es wurde mit dem „vip“ behoben, die Bohrung ging weitere 205 Meter in die „Impaktbrekzien“. Ganz perfekt verlief sie nicht, und bei einem zweiten, örtlich etwas versetzten Versuch wurde das Bohrgestänge endgültig ruiniert. Immerhin: „Wir haben 80, 90 Prozent von dem, was wir wollten.“ Zu einem stolzen Preis. „Nur Mondgestein ist teurer“, bilanziert der Forscher: „Zehn Millionen Dollar für 500 Meter Bohrkern, das macht 20.000 Dollar pro Meter.“ Werden sie sich auszahlen? Die Klimatologen erhoffen sich ein einzigartig detailliertes Archiv von 3,5 Millionen Jahren. Zudem werden die Sedimente zeigen, ob Impakte dieser Größenordnung – alle Millionen Jahre kommt einer – das Klima beeinflussen, durch Staub und Rauch, ähnlich wie Vulkane.

Köberl selbst, der sich mit Impakten auskennt wie wenige, erhofft sich Grundsätzliches: Zum einen ist ihm beim ersten Blick auf den Bohrkern aufgefallen, dass in ihm relativ wenig geschmolzenes Gestein ist. Das gleiche Phänomen kennt er von einem Krater, den er in Afrika angebohrt hat – der Bosumtwi in Ghana hat eine ähnliche Größe und ist eine Million Jahre alt –, es widerspricht der gängigen Vorstellung von Impaktkratern: „Vielleicht muss man sie überdenken.“


Lernen für den Mars! Zum Zweiten hat Elgygytgyn eine Besonderheit: „Es ist auf der Erde der einzige bekannte Meteoritenkrater in saurem vulkanischen Gestein.“ Andernorts gibt es viele solche Krater, aber sie lassen sich selbst mit dem größten Aufwand an Geld nicht anbohren: auf Mars und Venus. Über ihre Charakteristika kann das sibirische Gestein Auskunft geben.

Aber erst einmal muss es da sein. Zunächst kommen die Bohrkerne nach St. Petersburg, dann brauchen sie wieder VIP-Behandlung. Köberl hofft, nächstes Jahr im Labor in Wien mit den Analysen beginnen zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.