Medizinnobelpreis: Natur-Apotheke gegen Parasiten

Netze schützen nur bedingt: Tu Youyou fand ein Malariamittel in der traditionellen chinesischen Medizin.
Netze schützen nur bedingt: Tu Youyou fand ein Malariamittel in der traditionellen chinesischen Medizin.(c) EPA (STEPHEN MORRISON)
  • Drucken

Die Ehre wurde dreigeteilt: Eine Hälfte geht an eine Chinesin, die ein Malariamedikament fand. Die andere erhalten ein Japaner und ein Ire für ein Wurmmittel.

Man nehme ein Büschel Qinghao, weiche es in zwei Sheng Wasser (0,4 Liter), wringe es aus und trinke den Saft völlig auf.“ So steht es im „Handbuch der Verschreibungen für Notfallbehandlungen“, in dem der chinesische Heilkundige Ge Hong (283–343) traditionelle Rezepte seines Landes gesammelt hatte. Das Buch war erhalten geblieben, selbst Mitte der 1960er-Jahre auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution, mit der Mao den Geist seines Landes ausrotten wollte, zumindest den der Tradition und den des Westens, Wissenschaftler wie die Pflanzenchemikerin Tu Youyou gehörten nun zur niedersten Klasse, der der „stinkenden alten Intellektuellen“.

Aber zu der Zeit war auch der Vietnamkrieg auf dem Höhepunkt, beide Seiten dezimierten nicht nur einander, sie hatten auch einen gemeinsamen Feind, Malaria. Die traditionellen Mittel – Chinin vor allem – wirkten nicht mehr, die USA legten ein Pharmaprogramm auf, Ergebnis war Mefloquin; China legte für den Verbündeten Nordvietnam auch eines auf, Mao persönlich brachte es am 23. Mai 1967 auf den Weg und nannte es nach dem Datum „Project 523“, es war streng geheim, die Leitung hatte Tu. Die musterte Heilpflanzen und die traditionelle Literatur durch, sie experimentierte mit 380 Extrakten, einer wirkte, der nach dem (modifizierten) Rezept von Ge: Er griff zum Einjährigen Beifuß (Artemisia annua), „einer Wermut-Art“, und sein Extrakt – „Nummer 191“ – schützte Testmäuse zu hundert Prozent vor Malaria.

Millionen Leben gerettet

Dieses Medikament – im Westen: Artemisin, in China: Quinhaosu – wirkt seitdem, weltweit, es hat Millionen Leben gerettet. Aber erst 2007 konnten zwei US-Forscher rekonstruieren, wer es entwickelt hatte: Tu. 2008 wurde sie mit dem Laskerpreis geehrt, nun erhält sie die Hälfte des heurigen Nobelpreises für Medizin, sie wird auf ihn wohl reagieren wie auf den Lasker: Für den sei sie dankbar, „aber ich fühle mich viel mehr belohnt, wenn ich so viele geheilte Patienten sehe“.

Ähnlich dürften die beiden Forscher denken, die sich die andere Hälfte des Preises teilen, der Japaner Satoshi Ōmura und der US-Amerikaner William Campbell. Auch ihre Geschichte hängt mit Parasiten zusammen, Würmern, die von Fliegen übertragen werden und fürchterliche Krankheiten über Menschen bringen, das Aufschwellen von Körpern bis hin zu Elephantiasis etwa, vor allem aber Flussblindheit, in Afrika waren temporär in manchen Dörfern alle Bewohner über 45 blind, viele suchten das Heil in der Flucht vor fruchtbaren Böden und handelten sich dafür Hunger ein.

Auch in Japan befasste sich einer mit den Heilkräften der Natur, Ōmura konzentrierte sich auf das Bodenbakterium Streptomyces, aus dem hatte man schon ein Antibiotikum gewonnen – Streptomycin –, aber es hat auch viele chemische Wirkstoffe, Ōmura fand Anfang der 1970er-Jahre einen, der (an Tieren) höchst wirksam war gegen unterschiedlichste Parasiten, vor allem Würmer: Avermectin. In Japan kam Ōmura nicht weit, er bewarb sich in den USA, einer der Angeschrieben bot gerade das halbe Salär wie die anderen: Max Tischler. „Wenn die Bezahlung so schlecht ist, muss etwas Besonderes dahinterstehen“, folgerte Ōmura, ging zu Tischler, der war ein höchst einflussreicher Chemiker, der u. a. ein Labor für den Pharmariesen Merck betrieb. Dort arbeitete auch William Campbell, dem ließ Ōmura Proben der Substanz zukommen, und der verfeinerte sie zu Ivermectin, es bewährte sich in der Veterinärmedizin, schließlich auch am Menschen.

Auch diese Geschichte hat reichlich Märchenhaftes: Merck riskierte viel Geld für etwas, dessen Gelingen ganz offen war, und für das am Ende niemand bezahlen würde können. Man tat es doch – eingedenk einer Maxime von George Merck, dem Sohn des Firmengründers: „Wir versuchen nie zu vergessen, dass Medizin für Menschen ist, nicht für Profite –, ab 1987 stellte man Ivermectin jedem, der es brauchte, gratis zur Verfügung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wissenschaft

Medizin-Nobelpreis geht an Parasiten- und Malaria-Forscher

Das Nobel-Komitee in Stockholm zeichnet drei Forscher aus Japan, China und den USA aus - unter anderem für die Forschung mit Fadenwürmern.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.