Eisblumenglas gezielt splittern lassen

 COLD WINTER
COLD WINTER(c) EPA (Robert Ghement)
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Material. Weil sie verbesserten, wie Glas springt, erhielten Vorarlberger Forscher einen der ACR-Kooperationspreise. Weitere Auszeichnungen gab es für Nanosonden, Bewehrungsstahl und ein Verfahren, das Baumaschinen leistungsfähiger macht.

Man kennt sie als Kunstwerke im Winter. Eisblumen sind Wasserkristalle, die durch die Kälte am Fenster entstehen. Die vielfältigen Formen faszinieren nicht nur Kinder. Architekten nutzen den optischen Effekt, der an Eisblumen erinnert, daher gern für ihre Bauten: Dazu verwenden sie splitterstrukturiertes Glas, sogenanntes Eisblumenglas, als Designelement mit besonderer Lichtstreuung.

Bisher war es jedoch schwierig, in der Produktion zu steuern, wie das Glas springt. Die Technik wurde daher für große Flächen wie Fassaden nur wenig eingesetzt. Wissenschaftlern des Forschungsinstituts V-Research ist es nun in einem gemeinsamen Projekt mit der Bregenzer Firma Glas Marte gelungen, den Herstellungsprozess entscheidend zu verbessern. Dafür belohnt wurden beide am Mittwochabend mit dem Kooperationspreis der Austrian Cooperative Research (ACR). Das Netzwerk von derzeit 20 Forschungseinrichtungen ist vor allem für kleine und mittlere Unternehmen tätig.

„Eher exotische Anwendung“

„Unser Ziel war, splitterstrukturierte Glasoberflächen industriell in Serie herzustellen und die Strukurbildung zu kontrollieren“, sagt Bernhard Feigl, Geschäftsführer von Glas Marte. Da man selbst jedoch keine Lösung fand, wandte man sich an die Vorarlberger Forscher. Diese beschritten damit selbst Neuland: „Glas war für uns eine eher exotische Anwendung“, sagt Florian Ausserer von V-Research. Sonst befassen sich die Tribologen als Experten für Reibung etwa mit dem Verschleiß von Getriebeteilen in der Automobilindustrie und wie sich dieser reduzieren lässt. Oder testen Kupplungen, die bei einem bestimmten Drehmoment durchrutschen sollen.

Wie lässt man nun also Glas so springen, dass es nicht tatsächlich bricht? Das Grundprinzip sei alt, sagt Mechatroniker Ausserer, die Technik gäbe es schon seit mehr als hundert Jahren. Man beschießt eine Glasscheibe mit einem Sandstrahl. Auf die aufgeraute Oberfläche kommt Knochenleim oder genauer: eine Lösung aus Wasser und Gelatine. Trocknet diese, bauen sich im Glas Spannungen auf. Es bricht an verschiedenen Stellen. Anschließend werden die Leimreste abgeschabt. Das Resultat ist ein Mosaik aus zahlreichen transparenten und nicht transparenten Stellen.

„Das war bisher aber ein eher zufälliger Prozess“, sagt Ausserer. Der Wunsch des Unternehmens war daher, das Glas bei gleicher Qualität kontrolliert splittern zu lassen. Es folgten aufwendige Labortests, in denen die Forscher den komplexen Entstehungsprozess Stück für Stück entschlüsselten. Welche Konzentration hat die Leimlösung? Bei welcher Temperatur wird sie idealerweise aufgebracht? Wie trocknet das Glas am besten? Wie soll die Luftfeuchte sein? Bei ihrer Arbeit erkannten die Forscher, dass bei der Herstellung des dekorativen Glases sehr viele Faktoren aufeinander wirken.

Labor siedelte in die Firma

Doch was im Versuch klappt, funktioniert im industriellen Maßstab nicht immer. Daher wurde das Labor ins Unternehmen übersiedelt und zugleich die Mitarbeiter geschult. Schließlich wurden alle Schritte, die für die Glasherstellung wichtig sind, genau festgelegt. Genaue Details verrät Ausseer aber nicht: Industriegeheimnis. Das Erfolgsrezept liegt nun bei der Firma Marte, die das neu gewonnene Wissen bereits in der Produktion einsetzt: mit weniger Ausschuss und um 40 Prozent geringeren Kosten als zuvor.

Winzige Sonden

Ebenfalls ausgezeichnet wurden im Rahmen der Gala Forscher des Grazer Zentrums für Elektronenmikroskopie. Zusammen mit der Wiener Firma SCL Sensor. Tech. Fabrication entwickelten sie winzige, mit freiem Auge nicht mehr sichtbare Messsonden. „Je kleiner elektronische Bauteile werden, deren Eigenschaften wir bestimmen wollen, desto kleiner müssen wir die Messsonden gestalten“, sagt Physiker Harald Plank. Nun passen zehn Milliarden der neu entwickelten Spitzen auf einen Stecknadelkopf. Bereits im November starten die Forscher in ein vom Technologieministerium finanziertes Projekt: Produktion der Zukunft.

Mit größeren Dimensionen befassten sich Forscher des Bautechnischen Instituts in Linz gemeinsam mit dem erst vor einem Jahr gegründeten oberösterreichischen Start-up Rapperstorfer Automation. Sie entwickelten eine Produktionsanlage, die Bewehrungsstahl für Betonwände, wie sie für Brückenträger oder Häuser verwendet werden, automatisch berechnet und noch im Werk mit einem Schweißroboter platziert. Bisher mussten die Stahlstäbe auf den Baustellen händisch zusammengesetzt werden.

Die einzige Frau auf dem Siegerpodest war die 45-jährige Maschinenbauingenieurin Anke Rustow. Sie holte mit dem ACR Woman Award eine weitere Auszeichnung für die Vorarlberger Forschungseinrichtung V-Research. Den Preis erhielt die Leiterin des Tribologielabors für ein Projekt mit einem großen Schweizer Motorenhersteller. Entwickelt wurde ein Verfahren, mit dem Baumaschinen die volle Leistung gleich nach dem Start abrufen können.

LEXIKON

Eisblumenglas imitiert den Effekt aus der Natur, der entsteht, wenn sich bei Kälte im Winter an Fenstern Eiskristalle bilden. Das speziell strukturierte Glas setzen Architekten als Designelement ein. Es kann aber auch für Duschkabinen verwendet werden. Für die Entwicklung eines kontrollierten Fertigungsprozesses erhielt das Forschungsinstitut V-Research gemeinsam mit der Firma Glas Marte einen ACR-Award.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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