Büroarbeitsplatz: Ein digitaler Coach hilft beim Gesundbleiben

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Wie altersgerecht sind unsere Büroarbeitsplätze? Wiener Forscher haben dazu Bildschirmarbeiter in vier europäischen Ländern befragt. Der „Presse“ verrieten sie erste Ergebnisse, die auch als Basis für eine neue Software dienen.

Europas Bevölkerung altert vor den Bildschirmen. 2050 wird rund die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland und auch in Österreich 50 Jahre oder älter sein, schätzen Experten. Welche Bedürfnisse die Babyboomer, also die Generation der nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen, bei der Arbeit hat, was sie stresst und was sie gesund hält, ist aber noch weitgehend unerforscht.

Das wollen Wiener Forscher im vom Technologieministerium unterstützten EU-Projekt Wellbeing ändern. Um das Wohlbefinden der Babyboomer geht es auch im Programm, das gemeinsam mit Praktikern entwickelt werden soll. Man müsse den sitzenden Arbeitsplatz neu sehen, sagt Soziologe Franz Kolland: Denn heute stünden smarte Technologien zur Verfügung, die sich quasi als Assistenten für den Arbeitnehmer nützen ließen. Um diese bestmöglich zu gestalten, wurde von Oktober 2014 bis Juli 2015 in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Rumänien zunächst eine umfassende Bedarfserhebung in Unternehmen durchgeführt. Kolland und sein Team sprachen mit der „Presse“ über die ersten Ergebnisse.

85 Prozent sitzen vor dem PC

Online befragt wurden in allen vier Ländern rund 1850 über 50-Jährige, die im öffentlichen Bereich oder im Dienstleistungssektor, vor allem in Banken und Versicherungen arbeiten. „Unsere Befragten verbringen mehr als 90 Prozent ihrer Arbeit sitzend und mehr als 85 Prozent vor dem Bildschirm“, sagt Kollands Dissertantin Anna Wanka. Und dort seien sie nicht nur schlechten ergonomischen Bedingungen ausgesetzt, die Verspannungen und Schmerzen verursachen, sondern auch starken psychischen Belastungen: Großer Zeitdruck und häufige Arbeitsunterbrechungen durch wechselnde Tätigkeiten sorgen für Stress und schlechte Konzentration. Dazu komme die emotionale Belastung, etwa, wenn die Wertschätzung fehle oder es Mobbing oder Diskriminierung durch Kollegen oder Vorgesetzte gebe.

„Zeitdruck als Stressfaktor gibt es überall, dennoch sieht man die Arbeit etwa in den Niederlanden mit einem positiveren Gefühl“, sagt Wanka. Der Unterschied scheint also in der Arbeitszufriedenheit zu liegen. Entsprechend wollen 40 Prozent der Niederländer, aber mehr als 50 Prozent der befragten Österreicher und Deutschen früher als mit dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter in Pension gehen.

Insgesamt gesünder, zufriedener und leistungsfähiger präsentierten sich die Manager. Das waren allerdings vor allem Männer und die hatten wiederum schlechtere Stressbewältigungsstrategien.

Die befragten Frauen kämen besser mit Kollegen und Vorgesetzten aus und nutzen ihre privaten und beruflichen Netzwerke, um mit Stress zurechtzukommen, so Wanka. Das zeige sich bei Männern weniger, eventuell auch durch deren oft gehobene Position. Die Männer versuchen Stress eher zu ignorieren. Dass das nicht hilft, zeigen die Ergebnisse ebenfalls. An den Folgen des vielen Sitzens leiden Manager aber jedenfalls genauso wie ihre Mitarbeiter, beide Gruppen gaben auch ähnlich häufig an, an Schmerzen zu leiden.

Vorurteile gegen Ältere

Erstaunt hat die Forscher, wie viele Vorurteile gegen ältere Arbeitnehmer kursieren: Rund zwei Drittel der Manager nahmen diese als weniger engagiert, kooperativ, lernwillig und flexibel wahr. Je jünger dabei die Führungskraft war, desto mehr Probleme hatte sie mit Älteren. Vorurteile würden aber oft nicht als solche erkannt, sagt Wanka: Der überwiegende Teil der Führungskräfte gab nämlich zugleich an, keine zu haben. Die Mitarbeiter erklärten hingegen, konkret durch Vorurteile benachteiligt zu sein: Das Alter mache bei Stellenbesetzungen und Beförderungen einen Unterschied. Auch bei Weiterbildungsangeboten würden Ältere weniger beachtet, fühlen sich dadurch auf dem Abstellgleis.

Insgesamt wurde der Bedarf geortet, Arbeitsplätze besser auf die Bedürfnisse Älterer abzustimmen. Dazu wird in Rumänien im Rahmen von Wellbeing bereits der Prototyp einer Software auf seine Nutzerfreundlichkeit getestet. Man dürfe Stress nicht als Problem des Einzelnen sehen, sondern müsse umfassende Lösungen anbieten, so Kolland.

Ein Stück weit soll dabei ein digitaler Coach helfen, der laufend aktuell, also in Echtzeit, Feedback gibt: Er registriert Körperbewegungen oder die Sitzhaltung des Büroarbeiters und gibt Tipps. Außerdem erkennt er Stress und Ermüdung an der Mimik und rät zeitgerecht zu einer Bildschirmpause. Da dabei moderne Sensortechnik oder eine Kamera zum Einsatz kommen soll, sind auch Informatiker der TU Wien am Projekt beteiligt.

Bei Verhalten ansetzen

Mitarbeitern sollen die Ratschläge aber nicht nur weniger Verspannungen, sondern – wie der Projektname eben besagt – insgesamt mehr Wohlbefinden bringen. Dazu gibt es auch Informationen zu Ernährung und Bewegung. Nach Verbesserungen des Programms folgen dann Feldtests in den anderen am Projekt beteiligten Ländern.

In allen vier Ländern waren die Manager jedenfalls gewillt, Anpassungen für ältere Mitarbeiter vorzunehmen. Die Frage, inwieweit Alter eine Krankheit sei, werde aber auch heute noch oft gestellt, sagt Kolland. Dabei sei nur etwa ein Viertel des Alterns genetisch geprägt. Für ihn eine gute Nachricht, denn: „Die Biologie können wir nicht ändern, aber unser Verhalten schon.“

Statistisch betrachtet könnten auch kleine Maßnahmen einen großen Effekt haben, sagte er: Bereits rund 10.000 Schritte am Tag würden das Demenzrisiko deutlich senken. Er und seine Mitarbeiterinnen würden daher stets Schrittzähler tragen, scherzt er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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