Musik verstehen mit dem Computer

Klaviertastatur mit Notenblatt
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Informatik. Was bewirkt, dass der Donauwalzer als fröhlich, die Mondscheinsonate hingegen als melancholisch wahrgenommen wird? Kann ein Computer diesen Unterschied erkennen?

Kann ein Computer Musik so gestalten, als spielte sie ein Mensch? Die Forschung sucht schon lang nach Methoden, aus dem Computer ein feinfühliges Gerät zu machen, das sich auf verschiedene musikalische Situationen einlassen kann und dementsprechend reagiert.

Einer der führenden Forscher ist auf diesem Gebiet Gerhard Widmer, Leiter des Instituts für Computational Perception (Computerwahrnehmung) an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Er erforscht auch als Leiter einer Forschungsgruppe am Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence Wien, wie Computer und künstliche Intelligenz in Zusammenhang mit Musik agieren können. Heuer im Mai erhielt Widmer nun eine der bedeutendsten Förderungen für Grundlagenforschung: den mit rund 2,3 Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats.

Widmers auf fünf Jahre angelegtes Forschungsprojekt „Getting at the Heart of Things: Towards Expressivity-aware Computer Systems in Music“ – kurz „Con Espressione“ – soll Computern beibringen, die Atmosphäre von Musik zu erkennen und selbstständig wiederzugeben. Ziel ist es, bis 2020 ein System zu entwickeln, das die Essenz von Musik begreift und mit Menschen gemeinsam musizieren kann. Dies bedeutet auch, auf den Musiker einzugehen und vorherzusagen, wo er das Tempo ändert. Und: Der Computer soll den jeweiligen Charakter und Ausdruck des Spielens erkennen und nachahmen.

Interessant für Spieleindustrie

„Wie wollen ein Begleitsystem schaffen, das in Echtzeit begreift, ob eine Stelle melancholisch oder virtuos gespielt wird“, so Widmer. Auch musikalische Suchmaschinen und die Spieleindustrie könnten Nutzen aus den Ergebnissen ziehen.

Seit rund 15 Jahren forscht Widmer daran, dass Computer Musik verstehen. „Verständnis steht dabei immer unter Anführungszeichen“, so der Wissenschaftler. „Selbst fühlen kann der Computer nicht, aber wir können ihm beibringen, Wiederkehrendes zu erkennen.“

Bisher sei es vorrangig darum gegangen, technische Strukturen in Audiosignalen zu erforschen. Rhythmus, Beat und Tempo zum Beispiel. Mit dem nun startenden Projekt kommt eine revolutionäre Ebene hinzu: Nicht nur die technisch beobachtbaren Faktoren sind Thema, sondern auch, wie Musik von Menschen wahrgenommen wird – und wie Computer dies begreifen können.

Ein Beispiel: Verschiedene Aufnahmen mit der gleichen Melodie, die aber jeweils anders gespielt wird. Einmal romantisch, einmal flott, einmal verziert. Wie empfinden und beschreiben unterschiedliche Personen diese Samples?

Im Hintergrund der künstlichen Intelligenz steht nicht etwa das Eingeben von Befehlen, sondern maschinelles Lernen: ein großer mathematischer Aufwand mit riesigen Datenmengen. Damit die Maschine die musikalische Essenz versteht, muss sie Notentexte und Aufnahmen analysieren und daraus Schlüsse ziehen. „Sie muss beispielsweise wissen, wann der Refrain beginnt. Das kann sie nur durch Datenabgleich lernen“, erklärt Widmer.

Klassisches Klavier im Test

Da Musik kulturspezifisch unterschiedlich wahrgenommen wird, arbeiten die Forscher zunächst nur mit westlichen Rezipienten. Bisher diente meist das Klavier als Untersuchungsinstrument – seine Vermessung ist leichter als bei anderen Instrumenten. Und: Der Projektfokus liegt auf klassischer Musik. „Ausdruck und Expressivität können hier besser beobachtet werden“, so Widmer.

Der Hauptteil des Projekts wird vom Team der Uni Linz betreut, wobei Widmer bei Bedarf auch internationale Partner mit ins Boot holen möchte. Einige Institutionen haben bereits ihre Kooperation zugesagt: So bietet das Karajan-Institut in Salzburg Zugang zu seinen Tonarchiven, das Concertgebouw-Orchester Amsterdam seine Live-Anthologie und der Bärenreiter Verlag den gesamten Notenbestand.

Gerhard Widmer: „Wahrscheinlichkeits- und Informationstheorie sowie Musikpsychologie und -geschichte spielen auch eine Rolle. Wir haben beste Voraussetzungen für einen Projektstart auf mehreren Ebenen.“

LEXIKON

Künstliche Intelligenz (KI) beschreibt den Versuch, menschliches Verständnis von Maschinen nachzubilden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Computer selbst fühlen kann. Im Hintergrund stehen Fragestellungen der Informatik und des maschinellen Lernens: Damit die Maschine menschliche Emotionen versteht, muss sie riesige Datenmengen analysieren und aus ihnen Schlüsse ziehen, um schließlich Strukturen, Motive und Erwartungen zu erkennen und dann auch selbst anzuwenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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